Zur Fortführung eines selbständigen Beweisverfahrens

25.2.2025
1
 min Lesezeit
Auf LinkedIn teilen

Es besteht die Möglichkeit, ein selbständiges Beweisverfahren fortzuführen oder wieder aufzunehmen, nahezu immer und insbesondere auch dann, wenn ein hierauf gerichteter Antrag erst lange nach Ablauf einer angemessenen Frist gestellt wird.
OLG Hamm, Beschluss vom 7. Oktober 2024 – I-12 W 21/24

A. Problemstellung
Ob Beteiligte am einem selbständigen Beweisverfahren auch nach Ablauf einer vom Gericht gesetzten Frist zu einem eingeholten Sachverständigengutachten Stellung nehmen und ergänzende Fragen an den Sachverständigen stellen dürfen, hatte das OLG Hamm zu entscheiden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In einem selbstständigen Beweisverfahren hat das Landgericht die Ergänzung des Beweisbeschlusses um die im Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 16.07.2024 formulierten Fragen mit der Begründung verweigert, die zur Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigen gesetzte Frist sei abgelaufen.
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Das Landgericht durfte die Ergänzung des Beweisbeschlusses schon deshalb nicht mit der Begründung verweigern, die zur Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigen gesetzte Frist sei abgelaufen, weil es an einer für die Zurückweisung des Antrages der Antragsgegnerin gem. § 296 Abs. 1 ZPO erforderlichen wirksamen Fristsetzung zur Antragstellung nach §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO fehlt. Präklusionsvorschriften haben strengen Ausnahmecharakter, weil sie das Grundrecht auf rechtliches Gehör einschränken und sich zwangsläufig nachteilig auf das Bemühen um eine materiell richtige Entscheidung auswirken. Sie ziehen damit einschneidende Folgen für die säumige Partei nach sich. Ihre Anwendung steht unter dem besonderen Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Deshalb muss das Gericht den Inhalt seiner Verfügung, mit der es eine Frist iSd. § 296 Abs. 1 ZPO setzt, klar und eindeutig abfassen, so dass bei der betroffenen Partei von Anfang an vernünftigerweise keine Fehlvorstellungen über die gravierenden Folgen der mit der Nichtbeachtung der Frist verbundenen Rechtsfolgen aufkommen können. Diesen Voraussetzungen genügte die Verfügung vom 01.05.2024 nicht. Mit ihr hat der Kammervorsitzende lediglich angeordnet, dass den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zum gleichzeitig übersandten Gutachten des Sachverständigen Stellung gegeben wird. Offensichtlich handelte es sich dabei nur um eine Verfügung, mit der nach Eingang des schriftlichen Gutachtens der Dialog zwischen den Parteien über dessen Inhalt eröffnet, zugleich aber auch zeitlich begrenzt werden sollte. Eine darüber hinausgehende Bedeutung ist dieser Verfügung nicht zu entnehmen. Eine Präklusionswirkung kann der Ablauf einer richterlichen Frist zum Vorbringen von Einwendungen gegen das Gutachten und der die Begutachtung betreffenden Anträge nach §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO aber nur dann auslösen, wenn bei den Parteien keine Fehlvorstellungen über diese Wirkung aufkommen können. Daran fehlte es hier. In der Verfügung vom 01.05.2024 hat das Landgericht den Parteien zugleich mit der Übersendung des Gutachtens des Sachverständigen lediglich Gelegenheit gegeben, hierzu binnen vier Wochen Stellung zu nehmen. Einen Hinweis auf den Ausschluss eines erst nach Ablauf der Frist eingehenden Vorbringens hat es damit nicht verbunden.
Ungeachtet dessen besteht die Möglichkeit, ein selbständiges Beweisverfahren fortzuführen oder wieder aufzunehmen, nahezu immer und insbesondere auch dann, wenn ein hierauf gerichteter Antrag erst lange nach Ablauf einer angemessenen Frist gestellt wird. Zweck des selbständigen Beweisverfahrens ist es insbesondere, durch eine umfassende Klärung der zwischen den Parteien streitigen tatsächlichen Fragen eine zügige Beilegung des Streits ohne Durchführung eines streitigen Verfahrens zu ermöglichen. Dieser Zweck wird nicht erreicht, wenn die Parteien darauf verwiesen werden, es bleibe ihnen unbenommen, ein neues, eigenes selbständiges Beweisverfahren durchzuführen oder im Hauptsacheverfahren auf eine ergänzende Beweiserhebung hinzuwirken.

C. Kontext der Entscheidung
Die tragende Begründung des Beschlusses ist nicht zu beanstanden und steht in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung: „Der Senat lässt insoweit dahinstehen, ob die nicht in einer mündlichen Verhandlung gem. § 411 Abs. 4 ZPO bestimmte Frist von sechs Wochen zur Stellungnahme zu dem Gutachten schon deshalb keine Ausschlusswirkung für verspätetes Vorbringen nach § 296 Abs. 1 ZPO herbeiführen konnte, weil die mit einer Frist versehene Aufforderung nicht durch die Kammer beschlossen, sondern allein durch den Vorsitzenden verfügt worden ist. Einen Ausschluss der erst lange nach Fristablauf von der Beklagten vorgetragenen Beweiseinreden und des Antrags auf Ladung des Sachverständigen konnte die Fristsetzung hier jedenfalls deshalb nicht herbeiführen, weil es an dem dafür erforderlichen Hinweis an die Parteien über die Folgen einer Nichtbeachtung der Frist fehlte. Eine Präklusionswirkung kann der Ablauf einer richterlichen Frist zum Vorbringen der Einwendungen gegen das Gutachten und der die Begutachtung betreffenden Anträge nach § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO nur dann auslösen, wenn bei der Partei keine Fehlvorstellungen über diese Wirkung aufkommen können. Daran fehlte es hier. In der Verfügung wurden die Parteien zu einer Stellungnahme zu dem Gutachten in einer von dem Richter bestimmten Frist aufgefordert, ohne dass dies mit einem Hinweis auf einen Ausschluss eines erst nach Ablauf der Frist eingehenden Vorbringens verbunden wurde (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2005 – V ZR 241/04 –, Rn. 8, mwN.). Nicht nachvollziehbar ist hingegen das obiter dictum des OLG: „Ungeachtet dessen besteht die Möglichkeit, ein selbständiges Beweisverfahren fortzuführen oder wieder aufzunehmen, nahezu immer und insbesondere auch dann, wenn ein hierauf gerichteter Antrag erst lange nach Ablauf einer angemessenen Frist gestellt wird.“ (OLG Hamm, Beschluss vom 7. Oktober 2024 – I-12 W 21/24 –, Rn. 9). Das OLG will sich dafür auf eine Entscheidung des VII. Zivilsenats des BGH aus dem Jahre 2010 berufen. Dort heißt es aber: „Haben die Parteien rechtzeitig Einwendungen gegen das im selbständigen Beweisverfahren erstattete Gutachten erhoben, ist - sofern nicht eine weitere Beweisaufnahme stattfindet - das selbständige Beweisverfahren jedenfalls dann beendet, wenn der mit der Beweisaufnahme befasste Richter zum Ausdruck bringt, dass eine weitere Beweisaufnahme nicht stattfindet und dagegen innerhalb angemessener Frist keine Einwände erhoben werden.“ (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – VII ZR 172/09 –, Rn. 14). Deshalb kommt der BGH zu dem Schluss, dass das dortige selbständige Beweisverfahren beendet ist, weil der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nicht innerhalb angemessener Frist gestellt wurde und die Beweisaufnahme daher zu Recht nicht fortgeführt wurde. Unklar ist, was der BGH mit dem Hinweis meint, „dass ein selbständiges Beweisverfahren fortgeführt oder wieder aufgenommen“ werden kann, und zwar „nahezu immer“. Denn dem folgt der BGH gerade nicht, sondern führt aus: „Wollte man für die Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens auf die damit verbundene Ungewissheit und deren Beseitigung durch einen gerichtlichen Beschluss abstellen, hätte es der Antragsteller in der Hand, durch verspätet gestellte Anträge das Ende des selbständigen Beweisverfahrens hinauszuzögern.“ (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – VII ZR 172/09 –, Rn. 20). Es bleibt somit – entgegen dem OLG Hamm – dabei, dass ein selbständiges Beweisverfahren grundsätzlich mit der sachlichen Erledigung der beantragten Beweissicherung anderweitig beendet iSv. § 204 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB ist. Erfolgt die Beweiserhebung durch ein schriftliches Sachverständigengutachten, ist dies mit dessen Übersendung an die Parteien der Fall, wenn weder das Gericht nach § 492 Abs. 1, § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hat noch die Parteien innerhalb eines angemessenen Zeitraums Einwendungen dagegen oder das Gutachten betreffende Anträge oder Ergänzungsfragen mitteilen. Läuft eine vom Gericht gesetzte Frist zur Stellungnahme ab, ohne dass die Parteien hiervon Gebrauch machen, endet das Verfahren grundsätzlich mit deren Ablauf (BGH, Urteil vom 22. Juni 2023 – VII ZR 881/21 –, Rn. 22, mwN.).

D. Auswirkungen für die Praxis
Die Beantragung einer erneuten Begutachtung ist zu unterscheiden von der – schriftlichen oder mündlichen – Ergänzung oder Erläuterung eines bereits eingeholten Gutachtens durch denselben Sachverständigen. Letztere sind bis zur Beendigung des selbstständigen Beweisverfahrens zulässig (BeckOK ZPO/Kratz, 55. Ed. 1.12.2024, ZPO § 485 Rn. 40). Gegen die Ablehnung der Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 412 ZPO ist im selbständigen Beweisverfahren kein Rechtsmittel gegeben. Dies ergibt sich aus § 567 Abs. 1 ZPO. Weder ist im Gesetz ausdrücklich bestimmt, dass gegen die im selbständigen Beweisverfahren ergangene Entscheidung, kein weiteres Gutachtens gemäß § 412 ZPO einzuholen, die sofortige Beschwerde statthaft ist (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), noch handelt es sich in diesen Fällen um eine von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO erfasste Entscheidung. Die Beweismöglichkeiten im selbständigen Beweisverfahren gehen grundsätzlich nicht weiter als im Hauptsacheverfahren. Im Erkenntnisverfahren ist gegen die Ablehnung der Einholung eines neuen Gutachtens grundsätzlich kein Rechtsmittel gegeben. Nach § 492 ZPO folgt die Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren den Regeln des Erkenntnisverfahrens. Würde den Parteien im selbständigen Beweisverfahren ein Beschwerderecht eingeräumt, erhielten sie ein Rechtsmittel an die Hand, welches ihnen bei einer Beweiserhebung in der Hauptsache nicht zur Verfügung stünde. Gründe für eine abweichende Regelung im selbständigen Beweisverfahren sind nicht vorhanden (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2010 – VI ZB 59/09 –, Rn. 7 - 8).

Kontakt
aufnehmen

Vereinbaren Sie gerne ein persönliches Beratungsgespräch mit uns,
Telefon: 0511 9999 4747 oder E-Mail: kanzlei@addlegal.de.

Telefonisch erreichen Sie uns von Montag bis Freitag
in der Zeit zwischen 8:00 Uhr und 18:00 Uhr.