OLG Hamm: Elektr. Postfachpflicht für öbvS

26.7.2024
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Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sind gem. § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO verpflichtet, ein elektronisches Postfach zu eröffnen, das für die elektronische Zustellung von elektronischen Dokumenten durch das Gericht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 130a Abs. 4 ZPO geeignet ist.

OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juli 2024 – 22 U 15/24

  1. Problemstellung

Mit der Frage, ob auch Gerichtssachverständige zu den „sonstige(n) in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte(n) Personen“ des § 173 Abs. 2 ZPO gehören, die einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments zu eröffnen haben, hat sich mit dem 22. Zivilsenat des OLG Hamm erstmalig ein Oberlandesgericht befasst.

  1. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Eine vom Senat beauftragte öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken verfügt nicht über ein elektronisches Postfach, das die Zustellung von elektronischen Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 173 ZPO durch die Justiz gestattet. Der Senat gibt ihr durch Beschluss auf, ein elektronisches Postfach einzurichten, das für die elektronische Zustellung von Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg iSv. § 130a Abs. 4 ZPO geeignet ist. Die Anordnung des Senats beruht auf § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Danach haben u.a. sonstige in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte Personen einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments zu eröffnen, bei denen von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann. Öffentlich bestellte und vereidigte (öbuv) Sachverständige gehören zu diesem Personenkreis.      

Der Gesetzgeber hat die Beurteilung, ob Sachverständige zu dem Personenkreis der in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligten Personen zählen, den Gerichten überlassen. Denn wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ergibt, hat er in dieser nur beispielhaft ("nicht abschließend") Personen, Vereinigungen und Organisationen angeführt, die unter dem Tatbestandsmerkmal zu fassen sind. Bei öbuv. Sachverständigen ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtung von einer erhöhten Zuverlässigkeit auszugehen. Wie sich aus § 36 Abs. 1 GewO ergibt, bestehen besonders hohe Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung von Personen, die als Sachverständige öffentlich bestellt werden dürfen. Mit der öffentlichen Bestellung wird einem Sachverständigen u.a. die persönliche Integrität bestätigt. Zudem gewährleistet die Aufsicht der Bestellungskörperschaften, dass bei öffentlich bestellten Sachverständigen - wie bei anderen berufsständisch gebundenen Personen auch - fortwährend die notwendige Zuverlässigkeit für die Zustellung von gerichtlichen Dokumenten gesichert ist.

Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sind zudem in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligt. Aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt sich unzweifelhaft, dass es zu einem wesentlichen Aufgabengebiet, also zum essentiellen Teil ihrer Profession zählt, an Gerichtsverfahren mitzuwirken. Es entspricht weiter auch Sinn und Zweck von § 173 Abs. 2 ZPO, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in die Verpflichtung einzubeziehen, einen sicheren Übermittlungsweg zu eröffnen. Die Regelung zielt darauf ab, Personen, Vereinigungen und Organisationen, die aufgrund und im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit regelmäßig mit dem Gericht kommunizieren, in den elektronischen Rechtsverkehr einzubinden. Das trifft auf öbuv. Sachverständige unzweifelhaft zu. Es gibt schließlich keine sonstigen Gründe, die durchgreifend gegen die Einbeziehung der öbuv. Sachverständigen in die unter § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO genannten Personengruppen sprechen. Die mit der Einrichtung und dem Betrieb der Postfächer zusammenhängenden Aufwände sind mit der Ausübung der Sachverständigentätigkeit für Gerichte verbunden und stellen - wie für andere Berufsgruppen auch - keinen der Anwendung des § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entgegenstehenden Grund dar. Sie sind verursacht durch eine Veränderung der technischen Umwelt und daraus resultierenden gesetzgeberischen Vorgaben, die eine hinzunehmende Rahmenbedingung für die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) darstellen.

  1. Kontext der Entscheidung

Nach Auffassung der Kommentarliteratur sollen seit dem 1.1.2024 zur Einrichtung eines sicheren Übermittlungswegs verpflichtet sein, wenn sie bei typisierender Betrachtung regelmäßig mit dem Gericht kommunizieren und zugleich der Aufsicht durch berufsständische Kammern unterliegen. Hiervon kann nur bei öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen und nicht lediglich typischerweise gelegentlicher Sachverständigentätigkeit ausgegangen werden (Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 173 Rn. 10.11 mwN.). Fraglich erscheint, ob § 173 ZPO Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung an Sachverständige darstellt, ein elektronisches Postfach einzurichten, wie das OLG Hamm meint. Trotzdem geht der Beschluss in die richtige Richtung. Rechtsanwälte sind seit längerem gewohnt, Akten elektronisch zu führen. Ihnen in Papierform übersandte Gutachten stellen in diesem System einen Fremdkörper dar. Wünschenswert wäre ferner, wenn die Justiz selbst die Anforderungen elektronischer Kommunikation erfüllen würde, die sie an Rechtsanwälte und nun auch an Sachverständige stellt.

  1. Auswirkungen für die Praxis

Sachverständigen stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, um ein elektronisches Postfach einzurichten. Sie können das kostenlose "Mein Justizpostfach" (MJP) nach dem OZG nutzen, das einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 5 ZPO eröffnet. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, das kostenpflichtige, aber dafür gegenüber dem MJP leistungsfähigere und nutzerfreundlichere besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) einzurichten, welches einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO begründet. Nach Auffassung des OLG sind Verwaltung und Gesetzgeber aufgerufen, durch die Optimierung der technischen Möglichkeiten und eine angemessene Berücksichtigung von durch die Nutzung des elektronischen Rechtverkehrs verursachten Mehrkosten bei der Vergütung ein Umfeld zu gewährleisten, welches die Tätigkeit des Gerichtssachverständigen noch hinreichend attraktiv erscheinen lässt. Denn die Gerichte sind auf eine ausreichende Anzahl von hochqualifizierten Gerichtssachverständigen angewiesen, um die anstehenden, diesbezüglich beweisbedürftigen Verfahren zügig und qualitativ hochwertig erledigen zu können (OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juli 2024 – 22 U 15/24 –, Rn. 21).

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