OLG Celle: Beweiswirkung des eEB
1. Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis (eEB) erbringt gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung. Für den Gegenbeweis, dass das zuzustellende Schriftstück den Adressaten tatsächlich zu einem anderen Zeitpunkt erreicht hat, muss die Beweiswirkung vollständig entkräftet werden.
2. Ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem dokumentierten Zeitpunkt der elektronischen Übersendung des Dokuments und dem im Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatum (hier: sechs Wochen) erbringt den Beweis der Unrichtigkeit der Datumsangabe für sich genommen noch nicht. In einem solchen Fall kann die Partei nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast verpflichtet sein, sich substantiiert zu den Umständen zu erklären, die die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen, und zu dem tatsächlichen Zeitpunkt der subjektiv empfangsbereiten Kenntnisnahme vorzutragen. Außerdem kann das Gericht nach §§ 142, 144 ZPO die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals des Rechtsanwalts der Partei anordnen. Erklärt sich die Partei nicht und legt auch das beA-Nachrichtenjournal ihres Rechtsanwalts nicht vor, kann der Beweis der Unrichtigkeit des in dem Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatums geführt sein.
OLG Celle, Beschluss vom 31. Januar 2025 – 20 U 8/24
(LG Hannover, 25. April 2024, 4 O 134/22, Urteil)
Das Problem:
In einem Berufungsverfahren hat der Senat mit Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vom 28. Oktober 2024 dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zustellung gegeben. Der Senatsbeschluss ist am 5. November 2024 um 13:08 Uhr elektronisch (u.a.) an den Klägervertreter versendet worden. Die elektronische Eingangsbestätigung aus dem System des Klägervertreters weist als Datum des Eingangs auf seinem Server (Ende des Empfangsvorgangs) den 5. November 2024 um 13:08:24 Uhr aus. Am 16. Dezember 2024 (13:31:08 Uhr) hat der Klägervertreter das elektronische Empfangsbekenntnis an das OLG übersandt und als Zustelldatum den 16. Dezember 2024 angegeben. Mit Beschluss vom selben Tag hat der Senat den Klägervertreter aufgegeben mitzuteilen, ob es sich bei der Datumsangabe um ein Versehen handele und – verneinendenfalls – die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals zu der elektronischen Übersendung des Senatsbeschlusses vom 28. Oktober 2024 bis zum 23. Dezember 2024 angeordnet. Daraufhin hat der Kläger beantragt, ihm eine Frist zur Erwiderung bis zum 23. Januar 2025 einzuräumen. Diesen Antrag hat der Senat zurückgewiesen, aber darauf hingewiesen, nicht vor dem 14. Januar 2025 über die Berufung des Klägers zu entscheiden. Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2025 hat der Kläger Stellung genommen.
Die Entscheidung des Gerichts:
Der Schriftsatz des Klägers vom 13. Januar 2025 ist erst nach Ablauf der insoweit nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO gesetzten Frist eingegangen. Der Hinweisbeschluss vom 28. Oktober 2024 ist dem Klägervertreter schon deutlich vor dem 16. Dezember 2024 gemäß § 173 Abs. 3 ZPO zugestellt worden. Davon ist der Senat überzeugt, nachdem der Kläger seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist und sich – trotz entsprechender Hinweise des Senats – nicht substantiiert zu den Umständen erklärt hat, die die Richtigkeit des vorliegenden Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen. Zudem hat er – trotz gerichtlicher Anordnung – auch nicht das beA-Nachrichtenjournal des Klägervertreters vorgelegt. Die Zustellung eines elektronischen Dokuments an einen Rechtsanwalt nach § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird gem. § 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO durch ein eEB nachgewiesen, das an das Gericht zu übermitteln ist. Für die Rücksendung des eEB in Form eines strukturierten Datensatzes per beA ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird. Die Abgabe des eEB setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen. Darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein eEB nicht ausgelöst wird. Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt insoweit gemäß § 175 Abs. 3 ZPO (= § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO a.F.) gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung. Der Gegenbeweis, dass das zuzustellende Schriftstück den Adressaten tatsächlich zu einem anderen Zeitpunkt erreicht hat, ist damit zwar nicht ausgeschlossen; nicht ausreichend ist aber eine bloße Erschütterung der Richtigkeit der Angaben im eEB. Vielmehr muss die Beweiswirkung vollständig entkräftet, also jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen werden. An die Führung des die Beweiswirkungen eines anwaltlichen Empfangsbekenntnisses beseitigenden Gegenbeweises sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine erhebliche zeitliche Diskrepanz bzw. ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der Übersendung des Dokuments und dem im Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatum erbringt den Gegenbeweis für sich genommen noch nicht. Auch das Datum des Eingangs der elektronischen Nachricht ist insoweit nicht hinreichend aussagekräftig, da dies nicht mit dem Zustelldatum gleichgesetzt werden kann. Für Letzteres bedarf es darüberhinausgehend der Kenntniserlangung und empfangsbereiten Entgegennahme seitens des Rechtsanwalts. Es kommt also wie bisher nicht auf den Eingang im Postfach des Rechtsanwalts an.
Zugleich ist aber zu berücksichtigen, dass an den Beweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses auch keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es gelten die Grundsätze der sekundären Darlegungslast, wenn konkrete Umstände – wie beispielsweise ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der elektronischen Übersendung des Dokuments und dem im eEB angegebenen Zustelldatum – die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen. Das ist bei der Annahme- bzw. Empfangsbereitschaft als Voraussetzung für die Zustellung gegen EB nach §§ 173, 175 ZPO der Fall. Zu der subjektiven Willensentscheidung, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen, können nur die betreffende Partei und ihr Prozessbevollmächtigter vortragen. Für das Empfangsbekenntnis hat das zur Folge, dass sich der Prozessgegner zu Umständen, die die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen, substantiiert erklären muss. Er kann sich daher nicht damit begnügen, pauschal die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zu behaupten, sondern muss seinerseits erklären, wann sein Rechtsanwalt die Nachricht zum ersten Mal gelesen hat und wie es zu der Verzögerung kam.
Außerdem kann nach §§ 142, 144 ZPO die gerichtliche Anordnung getroffen werden, das beA-Nachrichtenjournal des Rechtsanwalts vorzulegen, wenn begründete Zweifel an der Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses bestehen, wenn auch die Beweislast damit nicht übergeht. Denn in der beA-Infrastruktur wird für jede Nachricht, die gesendet oder empfangen wird, ein Eintrag als sog. Nachrichtenjournal erzeugt. .Die beA-Nachrichten inklusive des zugehörigen Journals werden nach 120 Tagen automatisch gelöscht. Ob Rechtsanwälte darüber hinaus gemäß § 50 BRAO die beA-Nachrichten und damit auch das Nachrichtenjournal vor der Löschung zu exportieren und zu archivieren haben, kann dahinstehen, weil der Zeitraum der automatischen Löschung von 120 Tagen im Zeitpunkt der Anordnung durch den Senat noch nicht verstrichen war. Dabei ist zwar stets zu berücksichtigen, dass auch das beA-Nachrichtenjournal lediglich objektive Umstände nachzuweisen vermag, aber keinen unmittelbaren bzw. zwingenden Rückschluss im Hinblick auf die (subjektive) Willensentscheidung des Empfängers zulässt, das elektronische Dokument als zugestellt entgegenzunehmen. Allerdings muss sich die betroffene Partei gleichwohl substantiiert zu den Umständen erklären, die die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses – etwa wegen der zeitlichen Diskrepanz – zweifelhaft erscheinen lassen, und es kann ggf. auf einen (konkludenten) Annahmewillen geschlossen werden. Diesen Maßstab zugrunde gelegt ist der Senat davon überzeugt, dass die Zustellung des Hinweisbeschlusses nach § 173 Abs. 3 ZPO tatsächlich schon so früh – mithin (deutlich) vor dem 29. November 2024 – erfolgt ist, dass die Stellungnahmefrist im Zeitpunkt des Schriftsatzes vom 23. Dezember 2024 und erst recht bei Eingang des Schriftsatzes vom 13. Januar 2025 bereits abgelaufen war. Der Kläger ist weder seiner sekundären Darlegungslast nachgekommen noch hat er das beA-Nachrichtenjournal seines Prozessbevollmächtigten vorgelegt. Vielmehr hat er den Hinweisbeschluss des Senats vom 16. Dezember 2024 ignoriert und die benannten Ungereimtheiten in Bezug auf die zeitlichen Abläufe nicht erklärt. Der Gegenbeweis zu dem in dem elektronischen Empfangsbekenntnis von dem Klägervertreter angegebenen Datum ist damit – trotz der an ihn zu stellenden strengen Anforderungen – geführt; es ist ausgeschlossen, dass die Zustellung (erst) am 16. Dezember 2024 erfolgt ist.
Konsequenzen für die Praxis:
Die Bedeutung des beA-Nachrichtenjournals für die sekundäre Beweislast hat erstmals das OLG München herausgearbeitet (OLG München, Beschluss vom 19. Juni 2024 – 23 U 8369/21 –, MDR 2024, 1234). Dem hat sich das Kammergericht angeschlossen (KG Berlin, Beschluss vom 24. Januar 2025 – 7 U 17/24 –, juris): Auch wenn das beA-Nachrichtenjournal nicht mehr jederzeit ohne weiteres abrufbar ist, weil beA-Nachrichten inklusive des zugehörigen Journals nach 120 Tagen automatisch gelöscht werden, sind Rechtsanwälte gemäß § 50 BRAO verpflichtet, die beA-Nachrichten (und damit auch das Nachrichtenjournal) vor der Löschung zu exportieren und zu archivieren. Wird die Vorlage des Journals angeordnet und unterbleibt aber, kann dahinstehen, ob der Parteivertreter das Nachrichtenjournal trotz Besitzes desselben nicht vorgelegt hat oder ob die Nichtvorlage des Nachrichtenjournals auf mangelnder Archivierung beruht, denn beides wäre gleichermaßen nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung zu würdigen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen muss, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Empfangsbekenntnisse befugt sein muss und also – gleich einem Zustellungsbevollmächtigten – für eine zeitnahe Entgegennahme und Bestätigung von Zustellungen Sorge zu tragen hat.
Beraterhinweis:
Lässt sich die Zustellung nicht nachweisen, so gilt ein Dokument nach § 189 ZPO in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung gerichtet war, tatsächlich zugegangen ist. Zwar kann die für eine Zustellung erforderliche Empfangsbereitschaft nicht allein durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs iSv. § 189 ZPO ersetzt werden. Hinzukommen muss noch die zumindest konkludente Äußerung des Willens, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück dem Angebot entsprechend als zugestellt entgegen zu nehmen. Die fehlende Zurücksendung des EB lässt dabei für sich genommen keinen entscheidend gegen eine fehlende Empfangsbereitschaft sprechenden Willen des Adressaten erkennen. Denn von einer Weigerung, das zuzustellende Schriftstück in Empfang zu nehmen, kann auch bei fehlender Rücksendung eines unterschriebenen Empfangsbekenntnisses nicht ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände gleichwohl in gegenteilige Richtung weisen und hinreichend zuverlässig auf die Empfangsbereitschaft des Adressaten schließen lassen (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 – VIII ZB 55/14 –, Rn. 12, AnwBl 2015, 349 mwN.).
Kontakt
aufnehmen
Vereinbaren Sie gerne ein persönliches Beratungsgespräch mit uns,
Telefon: 0511 9999 4747 oder E-Mail: kanzlei@addlegal.de.
Telefonisch erreichen Sie uns von Montag bis Freitag
in der Zeit zwischen 8:00 Uhr und 18:00 Uhr.
