Kostenentscheidung gem. § 494a ZPO
1. Eine Entscheidung über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO ist nicht statthaft, wenn die Hauptsacheklage zwar nicht innerhalb der gemäß § 494a Abs. 1 ZPO gesetzten Frist, aber noch vor Erlass der Kostenentscheidung rechtshängig geworden ist.
2. Die Rechtshängigkeit der Hauptsacheklage während des Beschwerdeverfahrens über die Kostenentscheidung gem. § 494a Abs. 2 ZPO ist zu berücksichtigen. Die Kostenentscheidung ist dann auf die Beschwerde hin aufzuheben und der Kostenantrag zurückzuweisen. Es kommt in dieser Konstellation in Betracht, dass der Beschwerdeführer gem. § 97 Abs. 2 ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
3. Für die Rückwirkung einer Zustellung gem. § 167 ZPO muss der Kläger innerhalb einer Frist von jedenfalls nicht deutlich mehr als zwei Wochen den angeforderten Vorschuss zahlen. Diese Frist wird nicht dadurch verlängert, dass der Kläger auf eine Zahlung seiner Rechtsschutzversicherung wartet.
OLG Hamm, Beschluss vom 5. Dezember 2024 – 22 W 12/23
A. Problemstellung
Das OLG Hamm hatte die Frage zu klären, ob im selbständigen Beweisverfahren eine auf Antrag des Antragsgegners ergangene Kostenentscheidung gem. § 494a Abs. 2 ZPO aufzuheben ist, wenn die Hauptsacheklage zwar nicht innerhalb der gemäß § 494a Abs. 1 ZPO gesetzten Frist, sondern erst während des Beschwerdeverfahrens über die Kostenentscheidung rechtshängig geworden ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In einem selbständigen Beweisverfahren hat das Gericht mit Beschluss vom 13.01.2023 den Antragstellern auf Antrag der Antragsgegner Frist zur Klageerhebung binnen vier Wochen ab Zustellung gesetzt. Der Beschluss wurde den Antragstellern am 20.01.2023 zugestellt. Am 17.02.2023 haben die Antragsteller das Hauptsacheverfahren anhängig gemacht. Eine Zustellung der Klage erfolgte zunächst nicht, weil der Vorschuss nicht gezahlt wurde. Mit Beschluss vom 24. Februar 2023 hat das Landgericht den Antragstellern die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens auferlegt. Die Antragsteller erstreben mit der Beschwerde die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und - konkludent - die Zurückweisung des Kostenantrags der Antragsgegner. Mit Beschluss vom 20.04.2023 hat das Landgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Am 03.05.2023 wurde die Klage in der Hauptsache zugestellt.
Die sofortige Beschwerde der Antragsteller ist begründet. Nachdem zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung eine rechtshängige Hauptsacheklage vorliegt, ist für den Erlass einer Kostenentscheidung kein Raum mehr. Denn nach dem jetzigen Sach- und Streitstand dürfte - im Unterschied zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung und der Abhilfeentscheidung - der angefochtene Kostenbeschluss nicht mehr ergehen:
Die Entscheidung des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss erging zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig. Den insoweit nach § 494a Abs. 2 S. 1 ZPO erforderlichen Antrag auf Erlass einer Kostengrundentscheidung haben die Beschwerdegegner gestellt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer kommt es für die Anordnung nach § 494a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO nicht auf die bloße Anhängigkeit durch Einreichung der Klageschrift an. Vielmehr ist mit dem Begriff der "Klageerhebung" die Zustellung der Klageschrift, die die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet, gemeint. Die Zustellung ist - unstreitig - erst nach Erlass des angefochtenen Beschlusses erfolgt. Es kommt vorliegend auch keine Rückwirkung einer zu bewirkenden Zustellung gemäß § 167 ZPO in Betracht. Danach wirkt die Zustellung der Klageschrift auf den Zeitpunkt der Einreichung zurück, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Das erfordert, dass die Partei alles Zumutbare veranlasst, damit die Zustellung ohne Verzögerung ausgeführt werden kann. Eine auf Nachlässigkeit der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten zurückzuführende Verzögerung von zwei Wochen ist als geringfügig zu betrachten. Jedenfalls eine Verzögerung von 18 Tagen ist schädlich. Zwar mögen die Beschwerdeführer nicht gehalten gewesen sein, mit der Einreichung der Klage auch zugleich - etwa per elektronischer Kostenmarke - einen Kostenvorschuss einzuzahlen. Sie durften vielmehr die Aufforderung des Gerichts zur Anforderung dieses Vorschusses abwarten, jedenfalls, wenn es wie hier um einen kurzen Zeitraum geht. Allerdings hätten die Beschwerdeführer nach Erhalt der Kostenrechnung - nach deren Vortrag am 17.03.2023 - den Kostenvorschuss zeitnah, d.h. innerhalb eines Zeitraums einzahlen müssen, der jedenfalls nicht deutlich über zwei Wochen liegt. Dies war nach dem eigenen Vortrag der Antragsteller nicht der Fall. Vielmehr ist der Vorschuss erst nach mehr als zweieinhalb Wochen eingezahlt worden und war zum Zeitpunkt des Erlasses des landgerichtlichen Nichtabhilfebeschlusses am 20.04.2023 - unstreitig - noch nicht eingegangen. Eine Überschreitung der Einzahlungsfrist von zwei Wochen um vier Tage mithin insgesamt von 18 Tagen ist nicht mehr als "geringfügig" im genannten Sinne anzusehen, zumal die gesetzte Frist zur Klageerhebung von vier Wochen nach dem 20.01.2023 und damit weit vor dem Einzahlungszeitpunkt abgelaufen war. Der Verweis der Beschwerdeführer darauf, dass sie eine Zahlung ihrer Rechtsschutzversicherung abgewartet hätten, vermag sie insoweit nicht zu entlasten. Denn die Einschaltung des Rechtsschutzversicherers berührt grundsätzlich die an den Kläger zu stellenden Anforderungen nicht, alles ihm Zumutbare für die alsbaldige Zustellung der Klage zu tun. Sonst träte eine nicht zu rechtfertigende Besserstellung der rechtsschutzversicherten Partei ein.
Mittlerweile ist die Klage aber rechtshängig. Ausgehend von dem allgemeinen Grundsatz des Beschwerdeverfahrens, dass nach den § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO das Beschwerdegericht regelmäßig nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Beschlussfassung entscheidet und neu entstandene Tatsachen oder neuer Vortrag anders als bei § 531 Abs. 2 ZPO ohne weiteres zu berücksichtigen sind, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat folgt nicht der in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass trotz einer späteren Klageerhebung der Beschluss nach § 494 a Abs. 2 S. 1 ZPO im Beschwerdeverfahren nicht mehr aufgehoben werden kann (Nachweise Rn. 20). Es gibt keinen Anlass von dem Grundsatz der Berücksichtigung von neuen Tatsachen in einem Beschwerdeverfahren gegen einen Kostenbeschluss gem. § 494 a Abs. 2 S. 1 ZPO abzuweichen. Vielmehr folgt aus dem Zweck der Vorschrift des § 494 a ZPO, dass eine Abänderung der Kostenentscheidung im Beschwerdewege zuzulassen ist, wenn die Hauptsacheklage erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens rechtshängig wird. Zweck des § 494 a ZPO ist es, dem Verfahrensgegner in dem selbstständigen Beweisverfahren die Möglichkeit zu geben, eine Kostenentscheidung zu seinen Gunsten zu erwirken, wenn der Antragsteller, etwa nach einem für ihn nachteiligen Ausgang des selbstständigen Beweisverfahrens, kein Hauptsacheverfahren anstrengt. Nachdem die Antragsteller das Hauptsacheverfahren rechtshängig gemacht haben, haben die Antragsgegner kein rechtliches Interesse mehr an dem Erlass eines isolierten Kostenbeschlusses. Denn über die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens wird im Hauptsacheverfahren entschieden werden, weil sie Kosten dieses Verfahrens darstellen. Die Antragsteller können das Hauptsacheverfahren auch nicht beenden, ohne dass die Antragsgegner für eine Kostengrundentscheidung Sorge tragen können, etwa bei einer Klagerücknahme durch einen Kostenantrag gem. § 269 Abs. 4 ZPO. Ein anderes Verständnis von § 494 a Abs. 2 ZPO führte dazu, dass der Richter, der über die Hauptsache zu entscheiden hat, selbst bei einer entgegenstehenden materiellen Rechtslage an eine im selbstständigen Beweisverfahren ergangene bestandskräftige Entscheidung gebunden wäre, die an die bloße Fristüberschreitung anknüpft. Dieses Ergebnis widerspräche dem gesetzgeberischen Zweck des § 494a ZPO, weil maßgebend für die isolierte Kostenentscheidung nicht die gesetzte Frist, sondern das Unterlassen der Klageerhebung ist, welches den Antragsgegner ohne die Anordnung des § 494a Abs. 2 ZPO gravierend benachteiligte.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller. Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 97 Abs. 2 ZPO. Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass bei Erlass der angefochtenen Entscheidung und des Nichtabhilfebeschlusses die Beschwerde noch unbegründet war und diese erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens begründet geworden ist.
C. Kontext der Entscheidung
Nach Auffassung des OLG Karlsruhe ist eine Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO dann berechtigt, wenn zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung über den Antrag im selbständigen Beweisverfahren zwischen den Parteien die Hauptsacheklage noch nicht rechtshängig ist. Eine Klageerhebung nach Erlass der Kostengrundentscheidung soll daran nichts mehr ändern. § 494a Abs. 2 ZPO knüpfe die Entscheidung über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens entscheidend daran an, ob der Antragsteller der Anordnung zur Klageerhebung bis zur erstmaligen Entscheidung über die Kosten nachgekommen ist. § 494a Abs. 2 ZPO spreche unter diesen Voraussetzungen eine für das Gericht bindende Rechtsfolge aus, die keinem Ermessen unterliegt. Mit der Beschwerde könne lediglich überprüft werden, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 494a Abs. 2 ZPO zum Zeitpunkt der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts vorgelegen haben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. März 2008 – 19 W 4/08 –, Rn. 8). Dem hat sich – ohne eigene Begründung – das OLG Koblenz angeschlossen. Wird die Klage erst nach einem gemäß § 494 a Abs. 2 S. 1 ZPO ergangenen Kostenbeschluss erhoben, könne dieser Beschluss, selbst im Beschwerdeverfahren, nicht mehr aufgehoben werden (OLG Koblenz, Beschluss vom 27. Februar 2015 – 3 W 99/15 –, Rn. 8). Dieser – den Prüfungsmaßstab des § 571 Abs. 1 ZPO contra legem einschränkenden - Auffassung ist bereits ein anderer Zivilsenat des OLG Hamm zu Recht entgegengetreten. Wenn aufgrund der - noch vor endgültiger Entscheidung über den Kostenantrag gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO - eingetretenen Rechtshängigkeit der Hauptsacheklage sichergestellt sei, dass in diesem Hauptsacheverfahren eine Entscheidung auch über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens ergeht, entfällt seiner Auffassung nach das rechtliche Interesse des Prozessgegners an einer isolierten Kostenentscheidung in dem selbständigen Beweisverfahren (OLG Hamm, Beschluss vom 18. April 2024 – I-24 W 5/24 –, Rn. 16). Zu Recht weist das OLG Köln darauf hin, dass die vom OLG Karlsruhe vertretene Auffassung dem allgemeinen Grundsatz des Rechtsmittelrechts widerspricht, wonach das Beschwerdegericht regelmäßig nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Beschlussfassung entscheidet. Es bestehe auch keine Veranlassung, in der in Rede stehenden Fallgestaltung von diesem Grundsatz abzuweichen: Nicht nur lasse der Wortlaut des § 494a Abs. 2 ZPO es ohne weiteres zu, die angeordnete Klageerhebung im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zu prüfen. Sinn und Zweck der Regelung sprächen maßgeblich hierfür. Denn die isolierte Kostenentscheidung im selbstständigen Beweisverfahren knüpfe an das Unterlassen der Klageerhebung, nicht aber an die Einhaltung der für diese bestimmten Frist an; eine an die bloße Fristversäumung geknüpfte Erstattungspflicht ohne Berücksichtigung der materiellen Rechtslage sei nicht mehr gerechtfertigt, wenn das Hauptsacheverfahren rechtshängig ist und dort über die Kosten unter Berücksichtigung des materiellen Rechts entschieden wird (OLG Köln, Beschluss vom 4. Januar 2022 – I-11 W 50/21 –, Rn. 12). Folgt man der überzeugenden Argumentation der OLG Hamm und Köln, stellt sich auch ein Folgeproblem nicht. Denn es ist ungeklärt, in welchem Verhältnis ein – nach verfristeter Klageerhebung – ergangener Beschluss nach § 494a Abs. 2 ZPO zu einer entgegenstehenden Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren steht.
D. Auswirkungen für die Praxis
„Die Regelung des § 494a ZPO ist nicht wirklich durchdacht sowie ziemlich unvollständig und hat sich in der Praxis als weitestgehend unzureichend erwiesen.“ (Herget MDR 2016, 943). Dieser Befund ist nach wie vor gültig, wie der besprochene Beschluss zeigt. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (OLG Hamm, Beschluss vom 5. Dezember 2024 – I-22 W 12/23 –, Rn. 27). Erfreulicher Weise ist die Rechtsbeschwerde auch eingelegt worden, so eine Klärung durch den BGH in absehbarer Zeit zu rechnen ist (BGH X ARZ 579/24). Auch wenn damit ein Teilaspekt des selbständigen Beweisverfahrens dem Streit entzogen werden dürfte, ändert sich nichts daran, dass sich das selbständige Beweisverfahren in der Praxis nicht bewährt hat. Die vom Gesetzgeber angestrebte schnelle Klärung von Beweisfragen und die anschließende gütliche Einigung der Beteiligten, tritt im Regelfall nicht ein, zumal wenn die Verfahren – wie in Bausachen der Regelfall – durch Streitverkündungen und die anschließende Beteiligung von Streithelfern – häufig die Subunternehmer des Antragsgegners – aufgebläht werden.
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