Keine Sicherheitsleistung für vorl. Vollstreckung einer Bauhandwerkersicherung
Für die vorläufige Vollstreckung einer Bauhandwerkersicherung gem. § 650f BGB ist keine Sicherheitsleistung zu erbringen.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Teilurteil vom 6. September 2023 – 12 U 59/23
Problemstellung
Auf Grund eines Antrags der zur Leistung einer Sicherheitsleistung verurteilten Beklagten, vorab über die vorläufige Vollstreckbarkeit des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils zu entscheiden, hatte das OLG darüber zu entscheiden, ob die Vorschriften der ZPO über die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung auch für Urteile gelten, durch die der Beklagte verurteilt wird, eine Sicherheit nach § 650f BGB zu leisten.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin für Vergütungsansprüche einschließlich der dazugehörigen Nebenforderungen eine Sicherheit in Höhe von 377.718,63 € nach ihrer Wahl durch die in § 232 BGB aufgeführten Arten der Sicherheitsleistung zu leisten. Es hat das Urteil hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen und der Kosten des Rechtsstreits gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages, im Übrigen ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt. In Bezug auf die vorläufige Vollstreckbarkeit hat es ausgeführt, die Entscheidung beruhe auf § 709 Satz 1, 2 ZPO; soweit die Beklagte zur Sicherheitsleistung verurteilt worden sei, sei das Urteil ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Die Berufung ist bislang noch nicht begründet worden. Die Beklagte wendet sich vorab gegen den Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit. Dazu führt sie aus, die Tatsache, dass das Landgericht die Verurteilung zur Leistung der Sicherheit ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt habe, verstoße gegen die Regelungen des Zivilprozessrechts in §§ 708ff. ZPO.
Der Antrag auf Vorabentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils gem. § 718 Abs. 1 ZPO ist nicht begründet. Nach Ansicht des Senats ist für die vorläufige Vollstreckung einer Bauhandwerkersicherung keine Sicherheitsleistung zu erbringen. Im Ergebnis und der wesentlichen Begründung folgt der Senat der Entscheidung des KG (KG Berlin, Urteil vom 22. Juni 2018 – 7 U 111/17). Nach Ansicht des KG ist eine Vollstreckbarkeitserklärung gegen Sicherheitsleistung nicht erforderlich, weil Gegenstand der verurteilten Leistung lediglich die Verpflichtung zu einer Sicherheitsleistung ist. Diese Verpflichtung zur Sicherheitsleistung ist nicht von einer - weiteren - Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Dem folgt der Senat. Auch wenn grundsätzlich bei Urteilen, die nicht § 708 ZPO unterfallen, gem. § 709 Satz 1 ZPO eine Sicherheitsleistung für die vorläufige Vollstreckbarkeit zu erbringen ist, entfällt eine solche nach Ansicht des Senats bei der hier in Frage stehenden Bauhandwerkersicherung gem. § 650f BGB. Durch die Entscheidungen der Gerichte, eine Sicherheitsleistung für die vorläufige Vollstreckung einer Bauhandwerkersicherung festsetzen, wird Auftragnehmern ein Großteil des Druckpotentials genommen. Sie können vom Auftraggeber im Wege der Vollstreckung nur dann die Bauhandwerkersicherheit verlangen, wenn sie selbst im Rahmen der vorläufigen Vollstreckung den Betrag zunächst verauslagen. Damit wird in hohem Umfang Kapital gebunden und dies in einer Situation, in der dem Auftragnehmer ohnehin Geldmittel fehlen, nämlich diejenigen, die vom Auftragnehmer - berechtigt oder unberechtigt - zurückgehalten werden. Zu Recht weist die Klägerin auch darauf hin, dass der Bundesgerichtshof wiederholt betont hat, dass die Bestimmung des § 650f BGB dazu dienen soll, dem Unternehmer möglichst schnell und effektiv vom Besteller eine Sicherheit zu erhalten, und zwar mittelbar auch im Interesse der Liquidität des Unternehmers. Wenn der Unternehmer aber wegen der ihm noch nicht rechtskräftig zugesprochenen Bauhandwerkersicherheit Sicherheit zu leisten hätte, um diese Bauhandwerkersicherheit zu erlangen und diese Sicherheit auf eigene Kosten u.U. über mehrere Jahre Verfahrensdauer aufrechterhalten müsste, dann wäre der gesetzgeberische Zweck nicht nur nicht erreicht, sondern in sein Gegenteil verkehrt.
Eine Sicherheitsleistung ist nach Ansicht des Senates auch nicht etwa deswegen erforderlich, weil im Falle der Vollstreckung die Möglichkeit besteht, dass dann, wenn die Beklagte keine Sicherheit – etwa durch Stellung einer Bürgschaft - leistet, die Klägerin die Möglichkeit hat, das grundsätzlich der Beklagten zustehende Wahlrecht, in welcher Form die Sicherheit zu leisten ist, an deren Stelle auszuüben. In diesem Fall könnte die Klägerin dann gemäß § 887 Absatz 2 ZPO auch Vorauszahlung des hierfür erforderlichen Geldbetrages verlangen. Damit besteht grundsätzlich die Gefahr, dass etwa Gläubiger der Klägerin auf diesen Betrag zugreifen, bevor er von der Klägerin an den Bürgen weitergeleitet wird bzw. werden kann. Dieses Risiko schätzt der Senat aber schon deshalb als gering ein, weil die Beklagte auch noch nach Beginn der Zwangsvollstreckung die Möglichkeit behält, sich von der Verbindlichkeit zu befreien, indem sie ihrer Verbindlichkeit zur Sicherheitsleistung in anderer Weise nachkommt, § 264 Absatz 1 2. Halbsatz BGB. Von daher scheint es auch aus diesem Grund nicht erforderlich, die Vollstreckbarkeit von einer Sicherheitsleistung in Höhe der ausgeurteilten Bauhandwerkersicherung abhängig zu machen.
Kontext der Entscheidung
Welche Urteile ohne Sicherheitsleistung und welche nur gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden dürfen, regelt die ZPO in einem Regelausnahmeverhältnis. § 708 ZPO führt zunächst die Ausnahmefälle auf, bei denen die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung auszusprechen ist. Für die Praxis die wichtigsten sind Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a ZPO (§ 708 Nr. 2 ZPO) und Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten (§ 708 Nr. 10 ZPO). Andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten sind ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 € nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 € ermöglicht (§ 708 Nr. 11 ZPO). Liegt keiner dieser Ausnahmefälle vor, sind Urteile – die ZPO nennt sie „andere Urteile“ - gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wie § 709 ZPO bestimmt. Urteile auf Stellung einer Sicherheit kennt der Katalog des § 708 ZPO nicht, so dass die Grundnorm des § 709 ZPO einschlägig ist. Daher sind nach der Systematik des Gesetzes Urteile, durch die die beklagte Partei zur Stellung einer Sicherheit gemäß § 650f BGB verurteilt werden, nur gegen Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Gesetzeslage ist eindeutig. Das OLG Schleswig missachtet sie bewusst. Richterliche Rechtsfortbildung berechtigt den Richter aber nicht dazu, seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen (BGH, Urteil vom 26. September 2023 – XI ZR 98/22 –, Rn. 16). Der Grundsatz der Gewaltenteilung schließt es aus, dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die die Verfassung dem Gesetzgeber übertragen hat, indem sie sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. September 2011 – 2 BvR 2216/06 –, Rn. 44). Der – als solcher nicht falsche - Hinweis des OLG, der Bundesgerichtshof habe wiederholt betont, „dass die Bestimmung des § 650f BGB dazu dienen soll, dem Unternehmer möglichst schnell und effektiv vom Besteller eine Sicherheit zu erhalten und zwar mittelbar auch im Interesse der Liquidität des Unternehmers. Wenn der Unternehmer aber wegen der ihm noch nicht rechtskräftig zugesprochenen Bauhandwerkersicherheit Sicherheit zu leisten hätte, um diese Bauhandwerkersicherheit zu erlangen und diese Sicherheit auf eigene Kosten u.U. über mehrere Jahre Verfahrensdauer aufrechterhalten müsste, dann wäre der gesetzgeberische Zweck nicht nur nicht erreicht, sondern in sein Gegenteil verkehrt.“ (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Teilurteil vom 6. September 2023 – 12 U 59/23 –, Rn. 17), ändert nichts daran, dass dem Gericht die Befugnis fehlt, eine von ihm als unbefriedigend empfundene Rechtslage zu missachten. Der Hinweis des Senats auf ein Urteil des Kammergerichts (Rn. 13) führt im Übrigen nicht weiter. Der Entscheidung des KG, der sich das OLG Schleswig anschließen will (KG Berlin, Urteil vom 22. Juni 2018 – 7 U 111/17), fehlt ebenfalls eine überzeugende Begründung. In ihr hieß es ursprünglich nur: „Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1,97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO, wobei die Vollstreckbarkeitserklärung auf die Kosten des Rechtsstreits zu beschränken war, da es in der Hauptsache (nur) um die Leistung einer Sicherheit geht.“ (KG Berlin, Urteil vom 22. Juni 2018 – 7 U 111/17 –, Rn. 45). Später hat der Senat den Tenor „berichtigt“ wie folgt: „Das Urteil vom 22. Juni 2018 ist nur hinsichtlich der Kosten des Rechtsstreits für vorläufig vollstreckbar erklärt worden, da es in den Hauptsache ja nur um die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung geht. Dabei ist als selbstverständlich vorausgesetzt worden, dass diese Verpflichtung zur Sicherheitsleistung nicht von einer - weiteren - Sicherheitsleistung abhängig zu machen ist. Da dies offensichtlich nach dem Wortlaut des Tenors in der ursprünglichen Fassung missverstanden werden kann, ist der Tenor wie geschehen berichtigt worden.“ (KG Berlin, Urteil vom 22. Juni 2018 – 7 U 111/17 –, Rn. 47). Beide Gerichte verkennen, dass die Sicherheit nach § 650f BGB, die in §§ 232 – 240 BGB näher ausgestaltet ist, materiell-rechtlicher Natur ist und damit von der prozessualen Sicherheit zu unterscheiden ist, die in § 108 ZPO geregelt ist. Zwar dient die Sicherheit nach § 108 ZPO allein der gegnerischen Partei, indem sie Ansprüche des Schuldners wegen Vollstreckung aus einer nicht rechtskräftigen Entscheidung schützt (Musielak/Voit/Foerste, 20. Aufl. 2023, ZPO § 108 Rn. 1). Dies ändert aber nichts daran, dass die einschlägigen Vorschriften der ZPO öffentliches Recht darstellen, das nicht der Disposition der Parteien unterliegt. Eine Gleichsetzung der materiell-rechtlichen Sicherheit mit einer prozessrechtlichen ist daher unzulässig. Das geltende Recht verlangt daher auch für Verurteilungen auf Stellung einer Sicherheit nach § 650f BGB, die vorläufige Vollstreckbarkeit nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers auszusprechen. In welcher Höhe diese Sicherheit zu bemessen ist, ist eine andere Frage (dazu unter D).
Auswirkungen für die Praxis
Was die die Bemessung der Sicherheitsleistung bei einer Verurteilung zur Bauhandwerkersicherung gemäß § 650 f BGB anbelangt, besteht in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ein breites Meinungsspektrum. Teilweise wird die volle Höhe der vom Auftraggeber zu stellenden Sicherheit (zzgl. Aufschlag für Kosten und weitere Schäden) für maßgeblich gehalten (OLG Karlsruhe, Teilurteil vom 11. Oktober 2016 – 8 U 102/16; OLG Hamm, Teilurteil vom 9. Januar 2019 – I-12 U 123/18 –, dazu: Fischer, jurisPR-PrivBauR 7/2019 Anm. 4). Diese Auffassung vernachlässigt, dass der Schuldner nicht zur Zahlung des von der Sicherheitsleistung erfassten Betrages verurteilt worden ist, sondern (lediglich) zur Stellung einer Sicherheit. Dementsprechend kann die obsiegende Gläubigerin nur gemäß § 887 Abs. 1 ZPO Hinterlegung gem. §§ 232 Abs. 1, 233 BGB beanspruchen und zugleich nach § 877 Abs. 2 ZPO Vorauszahlung des dafür erforderlichen Betrages verlangen (LG Hagen (Westfalen), Beschluss vom 30. November 2010 – 21 O 83/10 –, bestätigt - ohne weitere Begründung - durch OLG Hamm Beschl. v. 28.1.2011 – 19 W 2/11, BeckRS 2011, 3762). Dies verbietet es, den Streitwert der Klage nach § 650f BGB mit der zu sichernden Forderung gleichzusetzen. Ebenso ist es aus den oben dargestellten Gründen nicht erlaubt, auf eine Sicherheitsleistung gänzlich zu verzichten. Angebracht erscheint statt dieser beiden Extrempositionen die Wahl eines Mittelwegs (so auch: Giers/Scheuch in: Kindl/Meller-Hannich, Zwangsvollstreckung, 4. Auf. 2021, § 709 ZPO Rn. 4). Diesen hat in überzeugender Weise das OLG Hamburg gesucht (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Teilurteil vom 23. Oktober 2015 – 9 U 91/15 –, dazu: Münch, jurisPR-PrivBauR 11/2016 Anm. 5). Dabei geht es von der Grunderwägung aus, dass, wenn die Befugnis des Gläubigers zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nach § 709 Satz 1 ZPO von der Erbringung einer vorherigen Sicherheitsleistung abhängt, diese dem Interesse des Schuldners dient und ihm vollen Ersatz für diejenigen Nachteile gewähren soll, die er bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung erleidet; er soll davor geschützt werden, dass er zwar die Vollstreckung duldet, aber bei einem objektiv unrechtmäßigen Vollstreckungszugriff eventuelle Ersatzansprüche gegen den vollstreckenden Gläubiger nicht realisieren kann, wozu vor allem ein etwaiger Ersatzanspruch des Vollstreckungsschuldners nach § 717 Absatz 2 ZPO gehört (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Teilurteil vom 23. Oktober 2015 – 9 U 91/15 –, Rn. 5). Zu berücksichtigen seien daher die Kosten des Verfahrens auf Herausgabe bzw. Kraftloserklärung der Sicherheitsleistung. Außerdem seien die Avalzinsen für eine Bürgschaft zu berücksichtigen, die mit 2% der Sicherheitssumme über einen Zeitraum von fünf Jahren anzusetzen seien, dem voraussichtlichen Zeitraum für das Herausgabeverfahren nebst Rechtsmittelverfahren. Außerdem sei ein Sicherheitszuschlag von 5% des ausgeurteilten Betrages gerechtfertigt. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass es im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu einer Vorschusszahlung gemäß § 887 Abs. 2 ZPO komme und dass Gläubiger des Vollstreckungsgläubigers auf den Vorschussbetrag zugreifen könnten. Dieses – geringe – Risiko sei mit 5% der zu leistenden Bauhandwerkersicherung zu bewerten (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Teilurteil vom 23. Oktober 2015 – 9 U 91/15 –, Rn. 7 - 9). Im Ergebnis errechnet das OLG für eine Sicherheit in Höhe von 543.398,05 € eine Sicherheitsleistung von 163.000,00 €. Die Berechnungsweise durch das OLG Hamburg, der sich auch das OLG Celle angeschlossen hat (OLG Celle, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 5 W 18/17 –, Rn. 10), überzeugt grundsätzlich, wenn man auch über einzelne Bewertungen streiten mag.
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