BGH: Zum Zustellungsnachweis
1. Den Nachweis über den Zeitpunkt der Zustellung der angefochtenen Entscheidung erbringt der Rechtsmittelführer durch die Übermittlung des vom Ausgangsgericht mit der Zustellung als strukturierter Datensatz zur Verfügung gestellten bzw. angeforderten elektronischen Empfangsbekenntnisses.
2. Ist die Gerichtsakte bei Eingang des Empfangsbekenntnisses bereits für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens an das Gericht des höheren Rechtszuges abgegeben, liegt es in der Organisationsverantwortung der Gerichte, für eine Zuordnung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zu dem zugestellten Dokument zu sorgen.
BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – XII ZB 255/24
A. Problemstellung
Mit den Folgen der unterbliebenen Zuordnung eines (verspätet abgegebenen) anwaltlichen Empfangsbekenntnisses zu der bereits an das Rechtsmittelgericht abgegebenen Gerichtsakte hatte sich der XII. Zivilsenat in einer Unterhaltssache zu befassen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Durch Beschluss vom 10. Januar 2024 hat das Familiengericht den Antragsgegner dazu verpflichtet, rückständigen und laufenden Kindesunterhalt zu zahlen. Es hat die Zustellung an den Antragsgegner unter Anforderung eines von seiner Verfahrensbevollmächtigten in Form eines strukturierten Datensatzes zu erteilenden elektronischen Empfangsbekenntnisses veranlasst, welches diese zunächst nicht - auch nicht nach mehrfacher Erinnerung durch das Familiengericht - zurückgesandt hat. Gegen den Beschluss hat der Antragsgegner am 20. Februar 2024 Beschwerde beim Familiengericht eingelegt und am 20. März 2024 beim OLG beantragt, die Frist zur Begründung um einen Monat zu verlängern. Das OLG hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners mit Verfügung vom 11. April 2024 unter Fristsetzung bis zum 26. April 2024 aufgefordert, das Empfangsbekenntnis zu den Akten zu reichen, und darauf hingewiesen, dass wegen des fehlenden Empfangsbekenntnisses nicht geprüft werden könne, ob die Beschwerdeeinlegung und der Verlängerungsantrag fristgerecht eingereicht worden seien. Am 12. April 2024 hat die Verfahrensbevollmächtigte das elektronische Empfangsbekenntnis, das als Zustelldatum den 22. Januar 2024 ausweist, an das Familiengericht in der Form des strukturierten Datensatzes übermittelt und die eingelegte Beschwerde am 22. April 2024 beim OLG begründet. Ohne über das Fristverlängerungsgesuch zu entscheiden, hat das OLG die Beschwerde verworfen.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts genügt die Beschwerde nicht den Anforderungen von § 63 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG, weil der Antragsgegner nicht den Nachweis der Rechtzeitigkeit des Eingangs seines Rechtsmittels und seines Fristverlängerungsantrages geführt habe. Insoweit trage er die Feststellungslast für aus seinem Erfahrungsbereich stammende Umstände. Er habe trotz des Hinweises vom 11. April 2024 nicht dargetan, wann ihm der angefochtene Beschluss schriftlich bekanntgegeben worden sei, so dass eine Berechnung der gesetzlichen Fristen nicht habe erfolgen können. Vor allem habe seine Verfahrensbevollmächtigte trotz mehrfacher Aufforderung nicht das von ihr zu erteilende Empfangsbekenntnis zur Verfahrensakte gereicht. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde innerhalb einer Frist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten (§ 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG). Gemäß § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat der Beschwerdeführer in Ehesachen und Familienstreitsachen zudem zur Begründung seiner Beschwerde einen bestimmten Sachantrag zu stellen und diesen zu begründen. Die Begründung ist innerhalb von zwei Monaten ab schriftlicher Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses, beim Beschwerdegericht einzureichen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG). Diese Frist kann auf Antrag des Beschwerdeführers unter den in § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO genannten Voraussetzungen von dem Vorsitzenden des Beschwerdegerichts verlängert werden. Eine Verlängerung der Frist zur Beschwerdebegründung kommt aber nicht mehr in Betracht, wenn das Verlängerungsgesuch erst nach Ablauf der Begründungsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen ist. Das Beschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist (§ 68 Abs. 2 Satz 1 FamFG).
Diesen Maßstäben genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Ausgehend von der mit dem Empfangsbekenntnis nachgewiesenen Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 22. Januar 2024 hat der Antragsgegner mit seiner am 20. Februar 2024 eingelegten Beschwerde und dem am 20. März 2024 gestellten Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist die genannten Fristen gewahrt. Mit der elektronischen Übersendung des Empfangsbekenntnisses an das Familiengericht hat die Verfahrensbevollmächtigte (deutlich) vor der Entscheidung des OLG alles von ihr zu Verlangende getan. Nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 173 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist für die Übermittlung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zwingend der vom Gericht mit der Zustellung zur Verfügung gestellte bzw. angeforderte strukturierte Datensatz zu verwenden. Durch die Verwendung des vom Gericht vorgegebenen strukturierten Datensatzes soll das rücklaufende Empfangsbekenntnis dem zugestellten Dokument automatisch zugeordnet werden können. Die Zuordnung selbst liegt in der Verantwortung des Gerichts. Ist die Gerichtsakte bereits für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens an das Gericht des höheren Rechtszuges abgegeben worden, bleibt es in der gerichtlichen Organisationsverantwortung, für eine Zuordnung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zu dem zugestellten Dokument zu sorgen. Ist dies nicht automatisiert gewährleistet, gehört es zu den Aufgaben des Gerichts der Ausgangsinstanz, das Empfangsbekenntnis ohne Zeitverzögerung an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten, um so die nach dem Gesetz vorausgesetzte Zuordnung herzustellen. Parallel dazu besteht eine Verpflichtung des Beschwerdegerichts, keine auf das Fehlen des Empfangsbekenntnisses gestützte Entscheidung zu treffen, ohne sich zuvor bei dem Ausgangsgericht nach einem möglichen, gesetzlich allein dort vorgesehenen Eingang zu erkundigen. Da der Zustellungsnachweis gemäß § 173 Abs. 3 Satz 2 ZPO ausschließlich mit dem vom Ausgangsgericht angeforderten strukturierten Datensatz vorgesehen ist, hatte die Verfahrensbevollmächtigte mit dessen Übersendung zugleich das von ihrer Seite Erforderliche erfüllt. Indem das Empfangsbekenntnis bei der Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht berücksichtigt worden ist, sind der Anspruch des Antragsgegners auf Zugang zur Rechtsmittelinstanz in unzumutbarer Weise erschwert und sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden.
C. Kontext der Entscheidung
Nach § 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO wird die elektronische Zustellung an Rechtsanwälte durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis nachgewiesen, das an das Gericht zu übermitteln ist. Für die Übermittlung ist der vom Gericht mit der Zustellung zur Verfügung gestellte strukturierte Datensatz zu verwenden (§ 173 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Dadurch soll dem Adressaten ermöglicht werden, durch „einfaches Anklicken“ den Zugang zu bestätigen (Schultzky in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 173 Rn. 13). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Gericht den in Form eines elektronischen Dokuments (§ 130a ZPO) zurücklaufenden Datensatz sofort dem zugestellten Dokument zuordnen können (BTDrs 17/13948, 34). Ist die Gerichtsakte bereits an das Rechtsmittelgericht abgegeben, stößt die Zuordnung des Empfangsbekenntnisses auf Schwierigkeiten. Dies kann nicht zu Lasten der betroffenen Prozesspartei gehen, welche Selbstverständlichkeit der BGH ausdrücklich festhält: Es bleibt es in der gerichtlichen Organisationsverantwortung, für eine Zuordnung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zu dem zugestellten Dokument zu sorgen. „Ist dies nicht automatisiert gewährleistet, gehört es zu den Aufgaben des Gerichts der Ausgangsinstanz, das Empfangsbekenntnis ohne Zeitverzögerung an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten, um so die nach dem Gesetz vorausgesetzte Zuordnung herzustellen.“ (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – XII ZB 255/24 –, Rn. 13). Die Probleme wären im entschiedenen Fall aber nicht entstanden, wenn die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners das elektronische Empfangsbekenntnis unter Angabe des 22. Januar 2024 als Zustelldatum nicht erst am 12. April 2024 abgegeben hätte (Rn. 3). Nach § 14 BORA haben Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ordnungsgemäße Zustellungen von Gerichten entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine berufsrechtliche Pflicht, so dass ein Verstoß keine prozessualen Auswirkungen hat. Im entschiedenen Fall wäre das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht notwendig gewesen, wenn das Empfangsbekenntnis unverzüglich abgegeben worden wäre. Dann hätte sich die Gerichtsakte noch beim Ausgangsgericht befunden und eine Zuordnung des eeB wäre ohne weiteres möglich gewesen. Ein Anspruch des Antragsgegners gegen seine Verfahrensbevollmächtigte auf Freistellung von den Gerichts- und Anwaltskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist daher nicht ohne Aussicht auf Erfolg.
D. Auswirkungen für die Praxis
Wegen Versäumung der Begründungsfrist darf eine Beschwerde erst verworfen werden, wenn der Vorsitzende des Beschwerdegerichts über den Verlängerungsantrag entschieden hat. Auf Antrag des Beschwerdeführers kann die Frist zur Beschwerdebegründung u.a. dann um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung das Verfahren durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder der Beschwerdeführer erhebliche Gründe darlegt (§ 117 Abs. 1 S. 4 FamFG iVm § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Diese Entscheidung kann auch noch nach einer Aufhebung eines auf anderen Gründen beruhenden Verwerfungsbeschlusses und Zurückverweisung des Verfahrens durch das Rechtsbeschwerdegericht nachgeholt werden. Ausgehend hiervon steht hier einer Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung entgegen, dass der Vorsitzende des Beschwerdegerichts bisher nicht über den - mit erheblicher Arbeitsüberlastung seiner Verfahrensbevollmächtigten begründeten Fristverlängerungsantrag des Antragsgegners entschieden hat (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – XII ZB 255/24 –, Rn. 17, mwN.).
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