BGH: Verhinderung an Terminswahrnehmung
1. Ein Verfahrensbevollmächtigter, der kurzfristig und unvorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, hat alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Verlegung oder Vertagung des Termins zu ermöglichen.
2. Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG iVm. § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beschwerde gegen einen zweiten Versäumnisbeschluss, der einem weiteren Einspruch nicht unterliegt (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 345 ZPO), nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Von der Schlüssigkeit der Darlegung, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden sei, hängt die Zulässigkeit der Beschwerde ab.
BGH, Beschluss vom 24. Januar 2024 – XII ZB 171/23
1. Problemstellung
Ergeht in einem Rechtsstreit eine zweite Sämnisentscheidung, ist gegen diese ein Rechtsmittel nur gegeben, wenn dieses darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Von der Schlüssigkeit der Darlegung hängt die Zulässigkeit des Rechtsmittels ab, wie der XII. Zivilsenat (erneut) festgestellt hat.
2. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Antragsteller macht gegen die Antragsgegnerin, seine von ihm getrennt lebende Ehefrau, einen Anspruch auf Zahlung von 44.000 € geltend. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht ist für die Antragsgegnerin niemand erschienen, woraufhin antragsgemäß ein dem Begehren des Antragstellers stattgebender Versäumnisbeschluss ergangen ist. Gegen diesen hat die Antragsgegnerin Einspruch eingelegt. Zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache am 23. November 2022 um 10:00 Uhr ist für die Antragsgegnerin erneut niemand erschienen. Nachdem das Amtsgericht bis 10:55 Uhr zugewartet und die Sache wiederholt aufgerufen hatte, hat es antragsgemäß einen zweiten Versäumnisbeschluss erlassen, durch den der Einspruch der Antragsgegnerin „zurückgewiesen“ worden ist. Hiergegen hat die Antragsgegnerin mit der Begründung Beschwerde eingelegt, dass eine schuldhafte Säumnis nicht vorgelegen habe. Ihre Verfahrensbevollmächtigte sei am 23. November 2022 rechtzeitig in Berlin losgefahren, um den Gerichtstermin in Frankfurt (Oder) um 10:00 Uhr wahrzunehmen. Während der Fahrt habe sie jedoch unvermittelt plötzlich „schubweise schwere krampfhafte Zustände“ verbunden mit Brechreiz und Durchfall bekommen. Sie habe ihre Fahrt deshalb für ca. zwei Stunden unterbrechen müssen. Mehrfache Versuche, das Amtsgericht vor 10:00 Uhr telefonisch zu erreichen, seien erfolglos geblieben. Erst gegen Mittag habe die Verfahrensbevollmächtigte ihre Fahrt fortsetzen können und sich direkt zu einem Arzt begeben. „In der Zwischenzeit“ habe auch die Kanzleimitarbeiterin der Verfahrensbevollmächtigten vergeblich versucht, die Geschäftsstelle des Amtsgerichts telefonisch zu erreichen. Schließlich habe die Kanzleimitarbeiterin die „Vermittlung“ des Amtsgerichts angerufen. Diese habe ihr mitgeteilt, dass die Verhandlung bereits vorbei sei, und sie mit der zuständigen Richterin verbunden. Die Richterin habe erklärt, dass sich der gegnerische Anwalt bei ihr gemeldet und angekündigt habe, staubedingt zu spät zu kommen. Da die Richterin „vom Büro der Antragsgegnerin“ keine Benachrichtigung erhalten habe, sei ein Versäumnisbeschluss ergangen. Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2023 hat die Antragsgegnerin ihren Vortrag dahingehend ergänzt, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte am 23. November 2022 mit dem PKW um 7:15 Uhr in Berlin losgefahren sei und diese Fahrt ca. gegen 9:00 Uhr auf dem Parkplatz Briesenluch habe unterbrechen müssen. Eine Weiterfahrt sei nicht möglich gewesen. Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil die Antragsgegnerin nicht schlüssig dargelegt habe, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte kein Verschulden an der Versäumung des Einspruchstermins am 23. November 2022 treffe.
Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG iVm § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beschwerde gegen einen zweiten Versäumnisbeschluss, der einem weiteren Einspruch nicht unterliegt (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 345 ZPO), nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Von der Schlüssigkeit der Darlegung, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden sei, hängt die Zulässigkeit der Beschwerde ab. Die Verschuldensfrage ist dabei nach denselben Maßstäben zu beurteilen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Wird die fehlende oder unverschuldete Säumnis nicht schlüssig dargelegt, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist vorzutragen. Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie - ihre Richtigkeit unterstellt - den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Gemessen hieran hat das Beschwerdegericht die Beschwerde der Antragsgegnerin zu Recht als unzulässig verworfen. Das Beschwerdegericht ist zutreffend von einem der Antragsgegnerin nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten ausgegangen, ohne dabei überhöhte Anforderungen an die Darlegung des fehlenden Verschuldens gestellt zu haben. Für die Entscheidung kann unterstellt werden, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin am 23. November 2022 erkrankungsbedingt nicht zum Einspruchstermin vor dem Amtsgericht erscheinen konnte. Dieser Umstand genügt aber nicht für die Annahme, die Verfahrensbevollmächtigte habe diesen Termin unverschuldet versäumt. Denn eine schuldhafte Säumnis liegt auch dann vor, wenn ein Verfahrensbevollmächtigter, der kurzfristig und unvorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Verlegung oder Vertagung des Termins zu ermöglichen. Nur wenn diese Mitteilung aus unverschuldeten Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, steht ihre Unterlassung der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Antragsgegnerin nicht schlüssig dargelegt, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte den Termin am 23. November 2022 ohne Verschulden versäumt habe. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Beschwerdebegründung zwar vorgetragen, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte nach dem plötzlichen Auftreten der gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehrfach erfolglos versucht habe, das Amtsgericht vor 10:00 Uhr telefonisch zu erreichen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um hinreichend substantiierten Vortrag. Das Beschwerdegericht hat mit Recht moniert, dass die Antragsgegnerin bis zum Ende der Beschwerdebegründungsfrist keine konkreten Angaben zum Ablauf der Fahrt ihrer Verfahrensbevollmächtigten und deren Bemühungen um eine Kontaktaufnahme mit dem Amtsgericht nach der krankheitsbedingten Fahrtunterbrechung gemacht habe. Ihrem Vorbringen sei nicht zu entnehmen, wann genau und wie oft ihre Verfahrensbevollmächtigte unter welcher Telefonnummer versucht habe, das Amtsgericht über ihre Verhinderung in Kenntnis zu setzen. Insbesondere habe die Antragsgegnerin nicht konkret behauptet, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte etwa versucht habe, die zuständige Geschäftsstelle des Amtsgerichts telefonisch zu erreichen, bzw. dass sie - im Falle des Nichtzustandekommens eines Gesprächs mit der Geschäftsstelle - die zentrale Rufnummer des Amtsgerichts gewählt habe. Die bloße Behauptung mehrerer erfolgloser Kontaktversuche vor 10:00 Uhr ist so pauschal und ungenau, dass nicht beurteilt werden kann, ob die Verfahrensbevollmächtigte ausreichende Bemühungen entfaltet hat, um ihrer Obliegenheit, dem Gericht rechtzeitig ihre Verhinderung mitzuteilen, nachzukommen. Hierfür wäre zumindest die Angabe erforderlich gewesen, wann genau die Verfahrensbevollmächtigte welche Rufnummer kontaktiert hat. Denn hätte sie etwa eine falsche Telefonnummer gewählt oder erst wenige Minuten vor 10:00 Uhr Kontaktversuche unternommen, obwohl sie ihre Fahrt nach eigenen Angaben bereits um 9:00 Uhr unterbrochen hat, wären ihre Bemühungen ersichtlich unzureichend gewesen. Auch der (erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingegangene) Schriftsatz vom 27. Februar 2023 enthält keinerlei Ergänzungen zu den von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin ergriffenen Maßnahmen. In Ermangelung substantiierten Vortrags zu eigenen Kontaktaufnahmeversuchen ihrer Verfahrensbevollmächtigten hat das Beschwerdegericht auch den Vortrag der Antragsgegnerin in den Blick genommen, die Kanzleimitarbeiterin ihrer Verfahrensbevollmächtigten habe „in der Zwischenzeit“ zunächst vergeblich versucht, die Geschäftsstelle des Amtsgerichts telefonisch zu erreichen, und sei dann über die „Vermittlung“ des Amtsgerichts mit der zuständigen Richterin verbunden worden. Das Beschwerdegericht hat insoweit ausgeführt, dass es zumutbar und naheliegend gewesen wäre, die Kanzleimitarbeiterin unverzüglich nach Eintritt der Fahrtunterbrechung telefonisch anzuweisen, die Richterin über die Verhinderung zu informieren und hierfür sowohl die Rufnummer der Geschäftsstelle als auch die zentrale Rufnummer des Amtsgerichts zu benutzen. Dass die Verfahrensbevollmächtigte ihrer Mitarbeiterin diese Weisung rechtzeitig erteilt habe, sei dem Beschwerdevorbringen allerdings nicht zu entnehmen. Vielmehr sei lediglich vorgetragen worden, dass die Mitarbeiterin die Richterin über die zentrale Rufnummer des Amtsgerichts zu einem nicht näher dargelegten Zeitpunkt nach der um 10:55 Uhr erfolgten Verkündung des zweiten Versäumnisbeschlusses erreicht und diese über die Verhinderung unterrichtet habe. Das nachträgliche Bemühen, die Information über die Verhinderung der Verfahrensbevollmächtigten weiterzugeben, genüge indes nicht. Ob die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin ihre Kanzleimitarbeiterin tatsächlich unverzüglich nach der Fahrtunterbrechung zur Kontaktaufnahme mit dem Amtsgericht hätte anhalten müssen oder ob sie zunächst eigene Kontaktversuche unternehmen durfte, kann letztlich dahinstehen. Denn die Verfahrensbevollmächtigte hätte ihre Mitarbeiterin jedenfalls im Falle der Erfolglosigkeit ihrer eigenen Kontaktversuche rechtzeitig vor dem Termin anweisen müssen, ebenfalls telefonisch Kontakt zum Amtsgericht aufzunehmen. Dass eine solche Weisung vor 10:00 Uhr erfolgt ist, hat die Antragsgegnerin jedoch nicht vorgetragen. Die Rechtsbeschwerde macht insoweit zu Unrecht geltend, dass sich die Rechtzeitigkeit der Weisung der Verfahrensbevollmächtigten aus der eidesstattlichen Versicherung ihrer Kanzleimitarbeiterin ergebe, wonach die Mitarbeiterin zum Zeitpunkt des Telefonats mit der zuständigen Richterin bereits seit mehr als 30 Minuten versucht habe, jemanden zu erreichen. Wann genau dieses Telefonat geführt wurde, ist hingegen nicht angegeben worden. Aus der eidesstattlichen Versicherung kann daher allenfalls abgeleitet werden, dass das Telefonat nach 10:55 Uhr stattgefunden hat, nicht jedoch, wann die Kontaktversuche der Mitarbeiterin begonnen haben, und insbesondere nicht, dass sie - auf eine entsprechende Weisung hin - bereits vor 10:00 Uhr erfolgt wären. Wenn aber Versuche, das Gericht über die kurzfristige Verhinderung der Verfahrensbevollmächtigten zu informieren, erst nach der vorgesehenen Terminsstunde unternommen werden, erfolgen sie schuldhaft zu spät.
3. Kontext der Entscheidung
Auch die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von der Schlüssigkeit der Darlegung hängt die Zulässigkeit des Rechtsmittels ab. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Frist der Berufungsbegründung vorzutragen. Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen, die die Zulässigkeit der Berufung rechtfertigen sollen, innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie, ihre Richtigkeit unterstellt, den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Dabei dürfen die Gerichte die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Parteivortrag mit Blick auf den verfassungsrechtlichen garantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör nicht überspannen (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 – VII ZB 58/21 –, Rn. 13 - 14, mwN.). Erscheint die Partei nach rechtzeitigem Einspruch gegen das erste Versäumnisurteil erneut nicht zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch oder erscheint sie zwar, ist aber nicht ordnungsgemäß vertreten oder verhandelt nicht, hat das Gericht nur noch die Voraussetzungen der wiederholten Säumnis, insbesondere die ordnungsgemäße Ladung zum Termin, zu prüfen, bevor es nach § 345 ZPO den Einspruch durch zweites Versäumnisurteil zu verwerfen hat. Eine darüber hinausgehende Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts besteht nicht. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil kann folglich nicht darauf gestützt werden, dass bei Erlass des ersten Versäumnisurteils ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen habe oder die Klage nicht schlüssig sei (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2020 – XI ZB 11/19 –, Rn. 11 – 12, mwN.).
4. Auswirkungen für die Praxis
Auf der Grundlage des Gebots eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Versäumnis eines Termins dann als entschuldigt anzusehen ist, wenn die Partei und ihr Prozessbevollmächtigter auf die erfolgte Stattgabe eines Verlegungsantrags vertrauen dürfen (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2017 – III ZB 137/15 –, Rn. 11). Eine schuldhafte Säumnis liegt jedoch vor, wenn der Prozessbevollmächtigte, der kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist, nicht das ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen (BGH, Urteil vom 3. November 2005 – I ZR 53/05 –, Rn. 14). Krankheit des Rechtsanwalts kann Säumnis entschuldigen und Grund sein zu vertagen. Unvorhergesehene, plötzliche Erkrankungen, die zeitnah mitgeteilt werden, entschuldigen in der Regel. Bei länger andauernden Erkrankungen muss aber für Vertretung gesorgt sein (Herget in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 337 Rn. 3 mwN.).
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