BGH: Kosten des selbständigen Beweisverfahrens

22.7.2024
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Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens werden von der Kostenentscheidung eines sich anschließenden Klageverfahrens nur dann mit umfasst, wenn die Parteien der beiden Verfahren identisch sind. Sind nicht alle Antragsgegner des selbstständigen Beweisverfahrens auch Parteien des Hauptsacheverfahrens, so sind die außergerichtlichen Kosten der allein am selbstständigen Beweisverfahren beteiligten Antragsgegner von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren nicht erfasst.

BGH, Beschluss vom 6. Juni 2024 – V ZB 67/23

  1. Problemstellung

Der V. Zivilsenat des BGH hatte zu entscheiden, wie die in der Praxis häufig vorkommende Konstellation gebührenrechtlich zu bewerten ist, dass einer von mehreren Antragsgegnern eines selbständigen Beweisverfahrens nicht Beklagter des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens wird, an diesem aber als Streithelfer beteiligt ist.

  1. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In einem selbstständigen Beweisverfahren war eine Antragsgegnerin - neben zwei weiteren Antragsgegnern - die Streithelferin der im anschließenden Hauptsacheverfahren Beklagten (im Folgenden: Streithelferin). Nach Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens setzte auf Antrag (nur) der Streithelferin das Landgericht den Klägern Frist zur Klageerhebung gemäß § 494a Abs. 1 ZPO. Nachdem die Kläger die Frist hatten verstreichen lassen, sprach das Landgericht durch Beschluss aus, dass die Kläger (dort Antragsteller) die der Streithelferin (dort Antragsgegnerin zu 3) im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO zu tragen haben. Auf den hierauf ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss zahlten die Kläger die festgesetzten Kosten von 3.172,62 € an die Streithelferin und erhoben sodann auf Grundlage des im selbstständigen Beweisverfahren vorgetragenen Sachverhalts Klage gegen die Antragsgegner zu 1 und 2. Die Streithelferin trat dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten bei. Das Landgericht hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens den Klägern zu 55 % und den Beklagten zu 45 % auferlegt; außerdem hat es ausgesprochen, dass die Kläger die Kosten der Streithilfe zu 55 % zu tragen haben und im Übrigen die Streithelferin ihre Kosten selbst trage. Auf Antrag der Streithelferin hat das Landgericht ihren Kostenerstattungsanspruch gegen die Kläger auf 1.727 € festgesetzt, ohne hierbei die Kosten der Streithelferin im selbstständigen Beweisverfahren einzubeziehen. Den Antrag der Kläger, 45 % des aufgrund des im selbstständigen Beweisverfahren ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses gezahlten Betrages (mithin 1.427,68 €) rückfestzusetzen, hat das Landgericht zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Kläger hat das OLG den Beschluss des Landgerichts abgeändert und den beantragten Erstattungsanspruch der Kläger gegen die Streithelferin festgesetzt. Zu den der Streithelferin im Hauptsacheverfahren auferlegten Kosten der Streithilfe zählten auch ihre Kosten aus dem selbstständigen Beweisverfahren. Zu den Kosten des Klageverfahrens gehörten die gesamten Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens, selbst wenn in persönlicher oder sachlicher Hinsicht nur Teile daraus zum Gegenstand der anschließenden Klage gemacht worden seien. Dass das Prozessgericht die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens ausdrücklich in die von den Beklagten teilweise zu tragenden Kosten des Rechtsstreits einbezogen habe, wirke nach dem Grundsatz der Kostenparallelität auch zulasten der sie unterstützenden Streithelferin. Damit liege eine von dem Kostenbeschluss im selbstständigen Beweisverfahren abweichende Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren vor. Die streitige Frage nach der Auflösung dieses Konfliktes sei im Sinne eines Vorrangs der Kostenentscheidung des Hauptsacheverfahrens gegenüber dem nur vorläufigen Kostenbeschluss im selbstständigen Beweisverfahren zu entscheiden (OLG Hamm, Beschluss vom 28. September 2023 – I-25 W 234/23).  

Die Rechtsbeschwerde der Streithelferin hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es an der für eine Rückerstattung erforderlichen nachträglichen Änderung der Kostenregelung im selbstständigen Beweisverfahren. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das OLG an, dass gemäß § 91 Abs. 4 ZPO auch solche Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden können, die die obsiegende Partei der unterlegenen auf der Grundlage einer nur vorläufigen Kostenentscheidung im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat. Die Partei, die auf der Grundlage einer vorläufigen Kostengrundentscheidung die Festsetzung ihrer Kosten im vereinfachten Kostenfestsetzungsverfahren erreicht hatte, soll nach Änderung der Kostengrundentscheidung hinnehmen müssen, dass der Titel zu gleichen Bedingungen wieder rückgängig gemacht wird. Ein Erfolg des Rückfestsetzungsantrags der Kläger setzt - wie das OLG richtig erkennt - voraus, dass die Kosten der Streithelferin aus dem selbstständigen Beweisverfahren zu den Kosten der Nebenintervention im Hauptsacheverfahren gehören. Denn der die Rückfestsetzung ermöglichende § 91 Abs. 4 ZPO gilt nur für Zahlungen an die unterlegene Partei, die auf deren Kosten in dem Rechtsstreit erbracht worden sind.

Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Ansicht des OLG, die auf die Kosten der Streithelferin bezogene Kostengrundentscheidung in dem Urteil im Hauptsacheverfahren erfasse die im selbstständigen Beweisverfahren ergangene Kostenentscheidung zugunsten der Streithelferin und lasse diese entfallen. Es liegt keine abweichende nachträgliche Verteilung der den Klägern im selbstständigen Beweisverfahren auferlegten Kosten vor. Die im Klageverfahren hinsichtlich des Streithelfers ergangene Kostengrundentscheidung umfasst nicht die dem Streithelfer als Antragsgegner im vorausgegangenen selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten; dies gilt unabhängig davon, ob insoweit eine Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO ergangen ist oder nicht. Die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens gehören zwar zu den Kosten des anschließenden Hauptsacheverfahrens. Sie werden von der Kostenentscheidung eines sich anschließenden Klageverfahrens aber nur dann mit umfasst, wenn die Parteien der beiden Verfahren identisch sind. Sind nicht alle Antragsgegner des selbstständigen Beweisverfahrens auch Parteien des Hauptsacheverfahrens, so sind die außergerichtlichen Kosten der allein am selbstständigen Beweisverfahren beteiligten Antragsgegner von der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren nicht erfasst. Die nicht verklagten Antragsgegner können ihre Kosten stattdessen nach § 494a Abs. 2 ZPO geltend machen. Hinsichtlich der nicht verklagten Antragsgegner besteht keine Parteiidentität zwischen dem selbstständigen Beweisverfahren und dem Hauptsacheverfahren, so dass die außergerichtlichen Kosten dieser Antragsgegner nicht als Kosten des Hauptsacheverfahrens anzusehen sind. Das gilt unabhängig davon, ob der nicht verklagte Antragsgegner bereits einen Kostenbeschluss nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO zu seinen Gunsten erwirkt hat. Denn wenn er nicht Partei des Hauptsacheverfahrens geworden ist, handelt es sich bei seinen im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten in keinem Fall um Kosten des Hauptsacheverfahrens. An der erforderlichen Parteiidentität fehlt es insbesondere dann, wenn der Antragsgegner eines selbstständigen Beweisverfahrens einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren lediglich als Streithelfer auf Beklagtenseite beitritt. Der Streithelfer ist nur Gehilfe der unterstützten Partei, ohne selbst Partei des Verfahrens zu sein. An der erforderlichen Parteiidentität für eine Einbeziehung der Kosten eines selbstständigen Beweisverfahrens in die Kostenentscheidung eines sich anschließenden Klageverfahrens fehlt es daher, wenn an Stelle des Antragstellers oder des Antragsgegners ein Streithelfer aus dem selbstständigen Beweisverfahren Partei des sich anschließenden Rechtsstreits wird.  

Dies gilt gleichermaßen im umgekehrten Fall, wenn ein Antragsgegner im anschließenden Hauptsacheverfahren nicht Partei wird, sondern Streithelfer. Auch in diesem Fall führt die Nebenintervention nicht dazu, dass der Streithelfer hinsichtlich der Kosten zur Partei wird. Die Ersatzfähigkeit der Kosten der Nebenintervention richtet sich gemäß § 101 Abs. 1 iVm. §§ 91 ff. ZPO danach, inwieweit die unterstützte Hauptpartei unterlegen ist. Anders als bei einer gegen ihn selbst erhobenen Klage hat der Streithelfer seine Kosten daher unter Umständen auch dann zu tragen, wenn der Antragsteller ihn in das selbstständige Beweisverfahren einbezogen hatte, obwohl dem Antragsteller keine Ansprüche gegen den Antragsgegner zustehen. Zudem berühmt sich ein Antragsteller eines selbstständigen Beweisverfahrens, der letztlich eine andere Partei im Klageverfahren in Anspruch nimmt, zu Unrecht eines Anspruchs gegen den Antragsgegner und hat daher auch die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens zu tragen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll ein Antragsgegner so gestellt werden, als habe er obsiegt, wenn er im selbstständigen Beweisverfahren Kosten aufgewendet und ein günstiges Ergebnis erreicht hat und der Antragsteller danach von der Einleitung des Hauptprozesses gegen ihn absieht (BT-Drucks. 11/8283 S. 48). Wird ein Hauptsacheverfahren gegen einen Antragsgegner nicht erhoben, hat der Antragsteller keine Möglichkeit, eine prozessuale Kostenentscheidung zu seinen Gunsten zu erwirken. Denn im selbstständigen Beweisverfahren kann nur auf Antrag des Antragsgegners eine Kostenentscheidung ergehen, und zwar allein zu Lasten des Antragstellers. Da der Antragsteller nicht gehindert ist, im Anschluss an das Hauptsacheverfahren gegen die unterstützte Partei auch gegen den Streithelfer selbst noch Klage zu erheben, könnte es zudem zu widersprüchlichen Kostengrundentscheidungen hinsichtlich der ihm im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten kommen, würde über diese bereits als Teil der Kosten der Nebenintervention entschieden. Ein nicht verklagter Antragsgegner müsste außerdem auf einen Beitritt zum Hauptsacheverfahren gegen einen anderen Antragsgegner verzichten, um sich den Vorteil der vollen Kostenerstattung nach § 494a Abs. 2 ZPO zu erhalten. Dies würde die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit entwerten, eine Hauptpartei zu unterstützen, und den nicht verklagten Antragsgegner insbesondere dort benachteiligen, wo ihm nach einer Streitverkündung die Prozessergebnisse aufgrund der Interventionswirkung nach § 74 Abs. 3 iVm. § 68 ZPO in Folgeprozessen entgegengehalten werden können.      

Nach diesen Maßstäben umfasst die Kostengrundentscheidung in dem Urteil des Landgerichts nicht die durch Beschluss des LG im selbstständigen Beweisverfahren erfolgte Entscheidung über die Kosten der Streithelferin. Die Streithelferin war selbst Antragsgegnerin im selbstständigen Beweisverfahren, aber gegen sie ist nicht Klage erhoben worden. Die Kläger haben nur gegen die weiteren Antragsgegner im selbstständigen Beweisverfahren das Hauptsacheverfahren eingeleitet. Die Streithelferin wurde lediglich durch ihren Streitbeitritt auf Seiten der Beklagten an dem Hauptsacheverfahren beteiligt und nicht als Partei. Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht aus dem Grundsatz der Kostenparallelität, nach dem die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten entsprechend § 101 Abs. 1 ZPO in dem gleichen Maßstab zu verteilen sind wie die Kosten zwischen den Parteien. Denn die außergerichtlichen Kosten aus dem selbstständigen Beweisverfahren der im Hauptsacheverfahren lediglich als Streithelferin beteiligten Antragsgegnerin sind in keinem Verhältnis von den Kosten des Rechtsstreits umfasst. Der Umstand, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme im selbstständigen Beweisverfahren im Hauptprozess verwertet worden ist, rechtfertigt ebenfalls keine andere Betrachtung. Der angefochtene Beschluss des OLG kann somit keinen Bestand haben. Da die Sache entscheidungsreif ist, kann der Senat die sofortige Beschwerde gegen den die Rückfestsetzung versagenden Beschluss des Landgerichts selbst zurückweisen.

  1. Kontext der Entscheidung

Der VII. Zivilsenat hat bereits den ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass ein Prozessvergleich, der die „Kosten des Rechtsstreits“ quotiert, keine Auswirkungen auf die Kosten eines vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahrens hat, wenn über dessen Kosten bereits rechtskräftig durch Kostenfestsetzungsbeschluss entschieden ist. Dabei hat der VII. Zivilsenat es ausdrücklich dahinstehen lassen, ob eine nachträglich im Hauptsacheverfahren vom Gericht getroffene Kostenentscheidung stets einen im selbständigen Beweisverfahren ergangenen Kostenbeschluss gemäß § 494a Abs. 2 ZPO, der formell rechtskräftig ist, abändert und dieser unter der auflösenden Bedingung steht, dass im Hauptsacheverfahren keine abweichende Kostenentscheidung ergeht (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2021 – VII ZB 7/21 –, Rn. 14). Der V. Zivilsenat führt in der besprochenen Entscheidung ebenso aus, es bedürfe entgegen den Ausführungen des Beschwerdegerichts keiner Entscheidung darüber, ob die im selbstständigen Beweisverfahren ergangene Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO im Verhältnis zur Kostenentscheidung im nachfolgenden Klageverfahren eine vorläufige Kostentscheidung darstellt (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2024 – V ZB 67/23 –, Rn. 6). Es erscheint fraglich, ob man die Auffassung des OLG Hamm mit dem Argument verteidigen kann, die ZPO enthalte anders als in § 344 ZPO für die Kosten der Säumnis keine Regelung, dass es bei der Kostenentscheidung auch bei abweichender Entscheidung in der Hauptsache bleiben solle, so dass der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung gegen die Endgültigkeit des Kostenbeschlusses spreche (so Koos IBR 2024, 54). Dass der Grundsatz der Kostenparallelität auf die in Frage stehende Konstellation gerade nicht anwendbar ist, hat der V. Zivilsenat festgestellt, weil die außergerichtlichen Kosten aus dem selbstständigen Beweisverfahren der im Hauptsacheverfahren lediglich als Streithelferin beteiligten Antragsgegnerin in keinem Verhältnis von den Kosten des Rechtsstreits umfasst sind (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2024 – V ZB 67/23 –, Rn. 14).

  1. Auswirkungen für die Praxis

Sollten die Parteien den Hauptsacheprozess durch Vergleich beenden wollen, ist außerordentliche Vorsicht bei der Formulierung des Vergleichs geboten, falls beabsichtigt ist, auch die Kosten des selbständigen Beweisverfahren der späteren Streithelfer in den Vergleich einzubeziehen. Sollten die Prozessparteien die Einbeziehung der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens in den Vergleich beabsichtigt haben, könnte den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit treffen. Ein gerichtlicher Vergleich stellt aufgrund seiner Doppelnatur auch einen materiell-rechtlichen Vertrag der Parteien dar. Ein Rechtsanwalt, der bei einer Vertragsgestaltung mitwirkt, hat bei der Abfassung des Vertragstextes für eine richtige und vollständige Niederlegung des Willens seines Mandanten und für einen möglichst eindeutigen und nicht erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut zu sorgen. Im Rahmen von Verhandlungen zum Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Interessen des Mandanten umfassend und nach allen Richtungen wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. Der Rechtsanwalt muss den Mandanten auf Vor- und Nachteile des beabsichtigten Vergleichs hinweisen und im Einzelnen darlegen, welche Gesichtspunkte für und gegen den Abschluss des Vergleichs sprechen (BGH, Urt. v. 16.12.2021 - IX ZR 223/20 Rn. 8).  

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