BGH: Kein Rücktritt vom Rücktritt

21.1.2025
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Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, ohne dass es verpflichtet wäre, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf eine Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.
BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2024 – IX ZR 28/23

A. Problemstellung
Unter welchen Voraussetzungen das rechtliche Gehör einer Partei verletzt ist, weil das Gericht deren Vortrag in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich berücksichtigt hat, hatte der IX. Zivilsenat in einem Anwaltshaftungsprozess zu entscheiden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin erwarb mit notariellem Kaufvertrag vom 12. Juni 2013 ein Haus unter Gewährleistungsausschluss zu einem Kaufpreis von 230.000 €. Am 16. Januar 2014 beauftragte die Klägerin die Beklagte mit der Beratung und Vertretung gegenüber dem Verkäufer wegen Gewährleistungsansprüchen. Mit Schreiben vom 1. Juli 2014 erklärte die Beklagte namens der Klägerin gegenüber dem Verkäufer wegen 17 arglistig verschwiegener Mängel, u.a. wegen eindringender Feuchtigkeit, "Anfechtung und Rücktritt vom Vertrag". In einem sodann eingeleiteten selbständigen Beweisverfahren stellte der Sachverständige Feuchtigkeitsschäden fest und schätzte den Aufwand für die erforderliche Erneuerung der Ringdrainage, der Abdichtung der Bodenplatte und der Sanierung der Klinkerfensterbänke auf 27.013 € brutto. Nicht Gegenstand des Sachverständigengutachtens war die weitere Behauptung der Klägerin, die Heizungsanlage funktioniere kaum oder gar nicht, was dem Verkäufer als langjährigem Nutzer des Kaufobjekts bekannt gewesen sei. Der Kostenaufwand für eine Reparatur betrage 11.219,82 €.
Bei anschließenden Vergleichsverhandlungen zeigte sich der Verkäufer allein zu einer Rückabwicklung bereit, da ein Rücktritt vom Rücktritt nicht möglich sei. Die Klägerin behauptet, sie habe eine Rückabwicklung des Vertrags nicht gewollt. Ihr Ziel sei gewesen, das Haus zu behalten und die Kosten für eine Beseitigung der Mängel zu erlangen. Infolge der Erklärung der Beklagten vom 1. Juli 2014 könne sie diese vom Verkäufer nicht mehr verlangen. Sie begehrt die Zahlung von 27.013 € nebst Zinsen sowie u.a. die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden. Die Klage blieb in erster und zweiter Instanz erfolglos. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Beklagte Beratungspflichten verletzt habe; es fehle jedenfalls an einem Schaden der Klägerin. Selbst wenn das Objekt mangelhaft gewesen sein sollte, stehe den geltend gemachten Gewährleistungsrechten auf Nachbesserung und (kleinen) Schadensersatz der vereinbarte Gewährleistungsausschluss entgegen. Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass der Verkäufer Mängel arglistig verschwiegen habe. Das Berufungsgericht hat für seine Überzeugungsbildung Beweis zu den Angaben des Verkäufers im Rahmen der Besichtigung des Verkaufsobjekts im Vorfeld des Kaufs durch Einvernahme des Verkäufers und eines weiteren bei der Besichtigung anwesenden Zeugen erhoben und die Klägerin informatorisch angehört. Es würdigt eingehend die Aspekte Feuchtigkeit im Keller, Verwendung von ungeeigneten Drainagerohren, die von Bauplänen abweichende Bauausführung, Ausblühungen an den Fensterbänken, Anschlüsse im Bad und Erfordernis einer Hebebühne. Zusammenfassend kommt es zum Ergebnis, die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Klägerin umfassend Gelegenheit gehabt habe, sich über das Objekt - auch unter Hinzuziehung sachverständiger Hilfe - zu informieren, und dass der Verkäufer ihre Fragen nach seinem Kenntnisstand beantwortet habe. Falsche Angaben in Kenntnis ihrer Unwahrheit hätten sich nicht nachweisen lassen. Anhaltspunkte für ein bewusstes Verschweigen hätten sich nicht ergeben, zumal auch die Klägerin bestätigt habe, dass über bestimmte Aspekte (Wasserschaden wegen der Heizung, Abdichtung, Ausbaufähigkeit des Bades) gesprochen worden sei.
Das angegriffene Urteil verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, soweit der Feststellungsantrag abgewiesen wurde. Die weitergehende Nichtzulassungsbeschwerde ist zurückzuweisen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör  ist verletzt, wenn im Einzelfall deutlich wird, dass Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Dabei ist aber grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, ohne dass es verpflichtet wäre, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf eine Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor. Das Berufungsgericht befasst sich in seinen Entscheidungsgründen nicht mit dem Aspekt der mangelnden Funktionstauglichkeit der Heizung. Dieser Aspekt stellte - neben der Frage der ordnungsgemäßen Abdichtung der erworbenen Immobilie - bereits erstinstanzlich einen zentralen Angriffspunkt der Klägerin dar. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihn ausdrücklich aufrechterhalten. Auch seinem Gewicht nach ist der Mangel von hervorgehobener Bedeutung, da die veranschlagten Mängelbeseitigungskosten 11.219,92 € betragen. Die Beweisaufnahme und -würdigung befasst sich mit der Heizung jedoch ausschließlich unter dem Gesichtspunkt, dass ihre Leckage eine mögliche Ursache der im Keller befindlichen Feuchtigkeit bildete. Nicht nachgegangen ist das Berufungsgericht der unter Beweis gestellten Behauptung, die Heizung schließe einen ordnungsgemäßen Heizbetrieb in den Wintermonaten aus, weil sie entweder gar nicht oder unter voller Leistung laufe und eine Regulierung kaum oder gar nicht möglich sei, dies könne dem Verkäufer während dessen jahrelanger Eigennutzung der Immobilie nicht entgangen sein. Auch in der Würdigung der Aussage des Verkäufers findet sich keine Auseinandersetzung mit Funktionsmängeln der Heizung, während sich das Berufungsgericht mit den Angaben des Verkäufers zu den sonstigen behaupteten Mängeln detailliert auseinandersetzt.
Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Beklagte gegenüber der Klägerin ihre Beratungspflichten verletzt hat. Revisionsrechtlich ist daher zu unterstellen, dass die Beklagte "Anfechtung und Rücktritt" erklärte, ohne dass die Klägerin hinreichend über die Rechtsfolgen der Gestaltungserklärung unterrichtet worden war, ferner, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Beratung gegen eine Ausübung der Gestaltungsrechte entschieden hätte. Hat die Beklagte wegen arglistig verschwiegener Mängel wirksam Anfechtung oder Rücktritt erklärt, kann die Klägerin vom Verkäufer nicht mehr die Kosten für eine Mängelbeseitigung verlangen. Unterstellt, der Vorwurf arglistiger Täuschung greift durch, war die Klägerin berechtigt, den Vertrag anzufechten (§ 123 Abs. 1 BGB) oder den Rücktritt zu erklären (§ 437 Nr. 2, § 434 BGB), ohne dass es insoweit einer Nachfrist bedurfte; ein arglistig verschwiegener, die Funktion der Heizung beeinträchtigender Mangel ist, auch wenn die Mängelbeseitigungskosten nicht 5% des Kaufpreises erreichen, erheblich. Unabhängig davon, ob die Erklärung als Anfechtung oder Rücktritt auszulegen ist, hat sich die Klägerin mit der Erklärung von Anfechtung beziehungsweise Rücktritt unwiderruflich gegen ein Festhalten am Kaufvertrag entschieden. Nachbesserung und Schadensersatz, der auf Erstattung der notwendigen Kosten für eine Beseitigung der Mängel gerichtet ist, kann sie daher vom Verkäufer nicht mehr verlangen. Im Falle der Anfechtung ergibt sich dies daraus, dass durch sie das angefochtene Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§ 142 Abs. 1 BGB). Im Falle des Rücktritts wird das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis nach § 346 Abs. 1 BGB umgewandelt. Das schließt den Fortbestand von (Nach-)Erfüllungsansprüchen und damit auch den Anspruch auf kleinen Schadensersatz aus.
Die Klägerin kann die Kosten der Mängelbeseitigung auch nicht aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (§ 280 Abs. 1, § 311 Abs. 1 BGB) oder Delikt (§ 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB) beanspruchen. Dieser Anspruch ist auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtet, somit auf Befreiung von dem abgeschlossenen Vertrag. Zwar gestattet die Rechtsprechung dem Käufer, sich so stellen zu lassen, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertag zu einem günstigeren Preis abzuschließen, will der Käufer an dem Vertrag festhalten. Dann kann er den Betrag als Schaden ansetzen, um den er im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben des Verkäufers den Gegenstand zu teuer erworben hat. Vorliegend hat sich die Klägerin jedoch mit der Abgabe der Gestaltungserklärung unwiderruflich gegen ein Festhalten am Vertrag entschieden.
Im Wege des Schadensersatzes ist die Klägerin so zu stellen, wie sie ohne Pflichtverletzung der Klägerin stünde. Ohne Pflichtverletzung hätte sie gegen den Verkäufer Ansprüche auf Nachbesserung oder entsprechenden Schadensersatz geltend machen können. Tatsächlich kann sie solche Ansprüche nicht geltend machen. Für den Verlust der Ansprüche auf Erstattung der Kosten der Mängelbeseitigung gegen den Verkäufer haftet die Beklagte aus § 280 Abs. 1 BGB. Jedenfalls nach derzeitiger Sachlage nicht in die Schadensberechnung einzustellen ist, ob und in welcher Höhe der Klägerin infolge der Erklärung Ansprüche auf Rückabwicklung des Kaufvertrags aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB oder § 346 Abs. 1 BGB gegen den Verkäufer zustehen. Zu einer Rückabwicklung des Kaufvertrags ist es infolge der Anfechtungs- und Rücktrittserklärung der Klägerin, deren Berechtigung der Verkäufer bestreitet, nicht gekommen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Rückabwicklung noch erfolgen wird. Auf von der Beklagten pflichtwidrig begründete, von der Klägerin nicht gewollte Ansprüche auf Rückabwicklung des Kaufvertrages muss sich die Klägerin bei der Berechnung ihres Schadens nicht verweisen lassen.

C. Kontext der Entscheidung
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt jedem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern und dem Gericht seine Auffassung zu den erheblichen Rechtsfragen darzulegen. Das Gericht ist verpflichtet, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit zu prüfen. Es darf ferner keine Erkenntnisse verwerten, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten nicht äußern konnten. Das Gericht muss aber den Parteien nicht mitteilen, wie es den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt voraussichtlich würdigen wird. Es reicht in der Regel aus, wenn die Sach- und Rechtslage erörtert und den Beteiligten dadurch aufgezeigt wird, welche Gesichtspunkte für die Entscheidung voraussichtlich von Bedeutung sein werden. Eine Gehörsverletzung kann jedoch vorliegen, wenn die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der von ihnen zu erwartenden Sorgfalt nicht erkennen konnten, auf welches Vorbringen es für die Entscheidung des Gerichts ankommen kann und wird (BGH, Beschluss vom 28. November 2012 – X ZB 6/11 –, Rn. 9 – 10 mwN.).

D. Auswirkungen für die Praxis
Der Senat stellt ausdrücklich fest, dass ein arglistig verschwiegener, die Funktion der Heizung beeinträchtigender Mangel, auch wenn die Mängelbeseitigungskosten nicht 5% des Kaufpreises erreichen, erheblich ist (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2024 – IX ZR 28/23 –, Rn. 16). Die Vorschrift des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB enthält eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung des § 323 Abs. 1 BGB, die dem Gläubiger bei einer Pflichtverletzung des Schuldners generell ein Rücktrittsrecht einräumt. Diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis liegt eine Abwägung der Interessen des Gläubigers und des Schuldners zugrunde. Während der Gesetzgeber bei einer mangelhaften Leistung grundsätzlich dem Rückabwicklungsinteresse des Gläubigers den Vorrang einräumt, soll dies ausnahmsweise bei einer unerheblichen Pflichtverletzung nicht gelten, weil das Interesse des Gläubigers an einer Rückabwicklung bei nur geringfügigen Vertragsstörungen in der Regel gering ist, wohingegen der Schuldner oft erheblich belastet wird. Daher überwiegt in diesen Fällen ausnahmsweise das Interesse des Schuldners am Bestand des Vertrags. Bei typisierender Betrachtung scheidet ein überwiegendes Interesse des Schuldners jedoch aus, wenn dieser arglistig gehandelt hat. Wird der Abschluss eines Vertrags durch arglistiges Verhalten einer Partei herbeigeführt, so verdient deren Vertrauen in den Bestand des Rechtsgeschäfts keinen Schutz. Vielmehr bleibt es in diesen Fällen bei dem allgemeinen Vorrang des Gläubigerinteresses an einer Rückabwicklung des Vertrags, ohne dass es hierzu einer weiteren Abwägung bedürfte (BGH, Urteil vom 24. März 2006 – V ZR 173/05 –, Rn. 13 mwN.).

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