BGH: Anforderungen an Fristverlängerung

21.11.2024
1
 min Lesezeit
Auf LinkedIn teilen

An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden. Daher reicht der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung zur Feststellung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung oder Glaubhaftmachung bedarf.

BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – IV ZB 20/24

  1. Problemstellung

Mit den eigentlich von der Rechtsprechung längst geklärten Voraussetzungen für die erste Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hatte sich der IV. Zivilsenat zu befassen.

  1. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Mit einem am 21. Mai 2024 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz haben die Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers beantragt, die an diesem Tag ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Zur Begründung haben sie ausgeführt, dass aufgrund derzeitiger unvorhergesehener Arbeitsüberlastung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts eine fristgerechte Berufungsbegründung nicht möglich sei. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 22. Mai 2024 den Fristverlängerungsantrag abgelehnt, weil es an einer Glaubhaftmachung der Arbeitsüberlastung fehle. Zugleich hat es den Kläger auf die beabsichtigte Verwerfung seiner Berufung hingewiesen. Mit weiterem Beschluss vom 5. Juni 2024 hat das Oberlandesgericht die Berufung als unzulässig verworfen.  

Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat Erfolg. Der BGH hebt den Beschluss vom 5. Juni 2024 auf. Mit der gegebenen Begründung durfte das Berufungsgericht das Rechtsmittel nicht wegen einer Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen. Es hat die Anforderungen an eine erstmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist überspannt, indem es die Ablehnung des Fristverlängerungsantrags - allein - darauf gestützt hat, der Kläger habe den angezeigten erheblichen Grund nicht glaubhaft gemacht. Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar ist der Rechtsmittelführer generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung des ihm eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in die Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Dies ist aber bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Allgemeinen der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. Zu den erheblichen Gründen im Sinne dieser Vorschrift zählt insbesondere die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten. An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden. Daher reicht der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung zur Feststellung eines erheblichen Grundes iSd. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung oder Glaubhaftmachung bedarf. Auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung darf der Anwalt regelmäßig vertrauen; die unteren Instanzen dürfen aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht zum Nachteil der betroffenen Parteien strengere Maßstäbe anlegen.  

Von diesen Grundsätzen weicht das Berufungsgericht in entscheidungserheblicher Weise ab, indem es - darüber hinausgehend - verlangt hat, die Prozessbevollmächtigten des Klägers seien auch ohne entsprechende Aufforderung des Gerichts gehalten gewesen, den angezeigten erheblichen Grund glaubhaft zu machen. Eine solche unüblich strenge, über die von der einschlägigen Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen hinausgehende Praxis des Berufungsgerichts bewegt sich nicht mehr im Rahmen zulässiger, am Einzelfall orientierter Ermessensausübung. Auf eine solche Praxis braucht sich der Anwalt daher nicht einzustellen.

  1. Kontext der Entscheidung

Da an die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen, reicht der bloße Hinweis auf einen als erheblich anerkannten Grund aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Wird der Antrag auf Fristverlängerung nicht in diesem Sinne begründet, muss der Rechtsmittelführer hingegen damit rechnen, dass der Vorsitzende in einem solchen Antrag eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen werde. Das hat der BGH für den Fall angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte des Berufungsführers in seinem Antrag lediglich darauf verwiesen, dass er "nicht in der Lage" sei, die Berufung fristgerecht zu begründen. Ein Grund, warum der Prozessbevollmächtigte hierzu "nicht in der Lage" gewesen sei, wurde nicht genannt. Somit genügte der Fristverlängerungsantrag selbst den geringen Anforderungen nicht, welche die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO stellt (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2024 – VIII ZB 31/23 –, Rn. 16).

  1. Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn sich ein (erster) Fristverlängerungsantrag nicht ausdrücklich auf Arbeitsüberlastung beruft, kann ihm bei der gebotenen Auslegung eine konkludente Berufung auf eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten zu entnehmen sein. Bei der Auslegung von Prozesshandlungen darf eine Partei nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden, sondern es ist davon auszugehen, dass sie mit ihrer Prozesshandlung im Zweifel dasjenige erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Prozesspartei entspricht. Daher kann unter Umständen auch eine konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen ausreichend sein. So hat es der BGH die Erklärung des Prozessbevollmächtigten ausreichen lassen, er habe den Entwurf der Berufungsbegründung zwar bereits erstellt und mit seiner Partei auch besprechen können; die sich aus dem Mandantengespräch ergebenen Änderungen und Ergänzungen müssten aber noch eingearbeitet werden. "Insoweit" bedürfe es einer Fristverlängerung um eine Woche. Bei verständiger Würdigung seiner Erklärungen hat der Prozessbevollmächtigte das Fristverlängerungsgesuch konkludent auf Arbeitsüberlastung als erheblichen Grund gestützt, indem er zum Ausdruck gebracht hat, dass es ihm aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, die bereits im Entwurf vorliegende Berufungsbegründung rechtzeitig bei Gericht einzureichen. Dies allein würde zwar noch keinen erheblichen Grund iSv. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO darstellen. Bei lebensnaher und vernünftiger Betrachtung kommt aber allein eine Arbeitsüberlastung als Ursache für den zur Begründung der beantragten erstmaligen Fristverlängerung um (nur) eine Woche angeführten zeitlichen Engpass in Betracht. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat die beantragte Fristverlängerung weder auf eine Erkrankung noch auf eine Urlaubsabwesenheit gestützt. Ausdrücklich klargestellt hat er, dass die Fristverlängerung nicht wegen einer noch ausstehenden Rücksprache bei der Partei erforderlich ist. Wenn ein Prozessbevollmächtigter bei dieser Sachlage unter Hinweis auf eine bereits erfolgte Rücksprache mit der Partei erstmals eine kurzzeitige Fristverlängerung mit der Begründung beantragt, die nach dem Mandantengespräch erforderlich gewordenen Ergänzungen und Änderungen seien noch einzuarbeiten, "insoweit" bedürfe es einer Fristverlängerung um eine Woche, wird damit zum Ausdruck gebracht, die bis zum Fristablauf verbleibende Zeit genüge in Anbetracht des sonstigen Geschäftsanfalls des Prozessbevollmächtigten nicht, um die Berufungsbegründung fristgerecht mit der erforderlichen Sorgfalt fertigzustellen. Unter diesen Umständen für einen ausreichenden Fristverlängerungsantrag zu verlangen, dass die Wendung "Arbeitsüberlastung" ausdrücklich gebraucht wird, käme einer bloßen Förmelei gleich (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 – VIII ZB 69/16).

Kontakt
aufnehmen

Vereinbaren Sie gerne ein persönliches Beratungsgespräch mit uns,
Telefon: 0511 9999 4747 oder E-Mail: kanzlei@addlegal.de.

Telefonisch erreichen Sie uns von Montag bis Freitag
in der Zeit zwischen 8:00 Uhr und 18:00 Uhr.