BGH: Anforderungen an die Berufungsbegründung

17.7.2024
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Liegt dem Rechtsstreit ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde, muss der Berufungskläger nicht zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen, wenn schon der allein vorgebrachte - unterstellt erfolgreiche - Berufungsangriff gegen einen Punkt geeignet ist, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. BGH, Beschluss vom 3. Juni 2024 – VI ZB 44/22

  1. Problemstellung

Mit den Anforderungen an die Berufungsbegründung bei einheitlichem Streitgegenstand und mehreren Schadenspositionen hatte sich der VI. Zivilsenat zu befassen.

  1. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das geleaste Fahrzeug des Klägers ist durch ein bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug beschädigt worden. Die volle Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Der Kläger beauftragte einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Schadens. Dieser ermittelte Reparaturkosten in Höhe von 31.195,36 € netto und eine Wertminderung von 3.500 €. Er gab den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs mit 31.932,77 € netto und den Restwert mit 18.060 € an. Der Kläger ließ mit Zustimmung der Leasingfirma das Fahrzeug für insgesamt 47.739,68 € brutto reparieren. Die Leasinggeberin ermächtigte den Kläger zur Geltendmachung der fahrzeugbezogenen Ansprüche im eigenen Namen. Mit der Klage hat der Kläger u.a. verlangt, ihn von Reparaturkosten der Kfz-Werkstatt, Mietwagenkosten für den Zeitraum 7. bis 21. März 2020 sowie Rechtsanwaltskosten freizustellen, den Minderwert gegenüber der Leasinggesellschaft auszugleichen und ihm weitere Mietwagenkosten für den Zeitraum 21. März bis 30. Mai 2020 in Höhe von 1.318,46 € zu erstatten. Das Landgericht hat die Klage bis auf die geforderte Freistellung von Mietwagenkosten für den Zeitraum 7. bis 21. März 2020 und von anteiligen Rechtsanwaltskosten abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Schadensersatzpflicht der Beklagten habe auf Totalschadensbasis zu erfolgen und sei auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt. Deshalb bestehe kein Anspruch auf Freistellung von Reparaturkosten und Ausgleich des Minderwerts. Dem Kläger stehe nur ein Anspruch auf Erstattung von Mietwagenkosten für die Dauer der Wiederbeschaffung des Fahrzeugs von 14 Tagen zu. Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen, soweit der Kläger Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € und Freistellung von weiteren Rechtsanwaltskosten begehrt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Die Berufungsbegründung hinsichtlich der geforderten Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € genüge bereits nicht den gesetzlichen Anforderungen. Sie setze sich zwar mit der vom Landgericht verneinten Frage der Ersatzfähigkeit der den Wiederbeschaffungswert übersteigenden Reparaturkosten auseinander, es fehle aber jegliche Begründung hinsichtlich der im angekündigten Berufungsantrag enthaltenen Mietwagenkosten. Eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung finde nicht statt. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig im Hinblick auf die geforderte Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 €. Soweit sich der Kläger mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung der Berufung als unbegründet gewandt hat, hat der Senat diese mit Beschluss vom 28. Mai 2024 - VI ZR 199/22 zurückgewiesen.  

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die teilweise Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Das ist vorliegend erfolgt. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen und rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden. Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss sich die Berufungsbegründung grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig. Liegt dem Rechtsstreit dagegen ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde, muss der Berufungskläger nicht zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen, wenn schon der allein vorgebrachte - unterstellt erfolgreiche - Berufungsangriff gegen einen Punkt geeignet ist, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. Anders liegt es dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen stützt. In diesem Fall muss der Berufungskläger in der Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner Auffassung die angegriffene Entscheidung nicht tragen.

Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung hinsichtlich der vom Landgericht versagten Erstattung weiterer Mietwagenkosten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es insoweit nicht an einer Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Landgerichts. Der Kläger hat in der Berufungsbegründungsschrift einen Berufungsantrag angekündigt, mit dem er unter anderem die Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € begehrt. Er hat ausgeführt, dass er während der Reparatur mehrere Mietwagen habe anmieten müssen. Die Rechtsansicht des Landgerichts, dass im Streitfall nur der Wiederbeschaffungsaufwand, nicht aber die Reparaturkosten ersatzfähig seien, hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung ausdrücklich angegriffen. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Das Landgericht hat die Erstattung weiterer Mietwagenkosten aus demselben Grund versagt wie die geforderte Freistellung von Reparaturkosten, nämlich mit der Erwägung, dass der Anspruch des Klägers auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt sei. Der Berufungsangriff gegen die Begründung des Landgerichts, mit der es die Ersatzfähigkeit der Reparaturkosten verneint hat, erfasst daher auch die Abweisung der Klage auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten.

Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Denn aus den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht bereits, dass kein Anspruch auf Ersatz weiterer Mietwagenkosten besteht. Das Berufungsgericht hat, soweit es die Berufung teilweise als unbegründet zurückgewiesen hat, bindend entschieden, dass die Ersatzpflicht der Beklagten auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) beschränkt ist. Die Bindungswirkung ergibt sich für das Berufungsgericht aus § 318 ZPO. Nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Teilzurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO ist zudem Rechtskraft eingetreten. Bei einer klageabweisenden Entscheidung, wie sie zu den geltend gemachten Reparaturkosten und zum Minderwert ergangen ist, ist der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung. Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass das Landgericht bei der Frage der ersatzfähigen Mietwagenkosten nur die im Sachverständigengutachten angegebene Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen zugrunde gelegt habe, ohne den Zeitraum bis zur Gutachtenerstellung und eine angemessene Überlegungszeit zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht dem Kläger auf der Grundlage etwaiger noch zu treffender Feststellungen einen Anspruch auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten zusprechen wird.

  1. Kontext der Entscheidung

Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2015 – VI ZB 40/14 –, Rn. 7, mwN.).  Eine andere Beurteilung soll geboten sein, wenn es entscheidend auf eine Rechtansicht ankommt. Das Festhalten an einer im Urteil erster Instanz zurückgewiesenen Rechtsansicht führt auch dann nicht zur Unzulässigkeit der Berufung, wenn in der Berufungsbegründung lediglich bereits in erster Instanz vorgetragene rechtliche Argumente wiederholt werden. Ein unzulässiger Verweis nur auf das Vorbringen erster Instanz liegt darin nicht. Sinn der Berufung ist es gerade, dem Berufungskläger die Überprüfung der Rechtsansicht der ersten Instanz zu ermöglichen. Aus dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist das verfassungsrechtliche Gebot abzuleiten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weiter gehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist. Das gilt auch für die Prüfung der Anforderungen an die Zulässigkeit der Berufung gemäß § 522 ZPO (BGH, Beschluss vom 07. Juni 2018 – I ZB 57/17 –, Rn. 10, kritisch dazu: Dastis, jurisPR-BGHZivilR 16/2018 Anm. 2).

  1. Auswirkungen für die Praxis

Ob der Berufungsführer nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist weiteren Vortrag zur Begründung der Berufung hält, ist unerheblich. Eine unzulängliche Berufungsbegründung kann nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr geheilt werden (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 – III ZB 50/20 –, Rn. 28, mwN.). Erst recht sind Ausführungen des Berufungsbeklagten in der Berufungserwiderung nicht geeignet, eine unzulängliche Berufungsbegründung zu heilen (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2015 – VI ZB 40/14 –, Rn. 15). Eine (teilweise) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Dieses Rechtsinstitut setzt die Versäumung einer gesetzlichen Frist voraus. Von der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung kann aber nach der nächstliegenden Bedeutung des Gesetzeswortlauts und aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit - bei hinreichender Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange der Gegenpartei - nur die Rede sein, wenn die rechtzeitige  Einreichung der Berufungsbegründung als solche unterblieben ist (BGH, Urteil vom 13. Februar 1997 – III ZR 285/95 –, Rn. 11).

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