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BGH: Zur Vertragsstrafe bei Rücktritt vom Vertrag
Tritt ein Besteller aufgrund eines ihm in einem Bauträgervertrag vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts wegen nicht termingerechter Fertigstellung eines abnahmereifen Bauwerks von dem Vertrag zurück, erlischt hierdurch nicht der Anspruch auf Zahlung einer vereinbarten und bereits verwirkten Vertragsstrafe wegen des Verzugs des Unternehmers mit der Fertigstellung, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.
BGH, Urteil vom 22. Mai 2025 – VII ZR 129/24
A. Problemstellung
Nach § 325 BGB wird das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen. Die bisher höchstrichterlich nicht entschiedene Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dies auch für den Vertragsstrafenanspruch gilt, hatte der VII. Zivilsenat zu entscheiden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien schlossen am 18. Oktober 2018 einen notariellen Kaufvertrag, nach dem die Beklagte für einen Nettokaufpreis von 7.300.000 € ein sanierungsbedürftiges Fabrikgebäude zu einem Wohnhaus mit 27 Wohnungen umbauen und das Grundstück übereignen sollte. Gemäß Ziffer 5.9. Abs. 1 des Vertrags hatte die Fertigstellung des Kaufgegenstands - mit Ausnahme der der Endabnahme nicht entgegenstehenden unwesentlichen Restarbeiten und Mängelbeseitigungen - spätestens bis zum 17. Oktober 2020 zu erfolgen ("Fertigstellungstermin"). Ziffer 6.8. des Vertrags lautet: "Kann der Verkäufer den Fertigstellungstermin aus Gründen, die er zu vertreten hat, nicht einhalten, schuldet er dem Käufer eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 1.276,57 pro Werktag, maximal jedoch 5 % des Kaufpreises insgesamt." Nach Ziffer 18.2. des Vertrags stand beiden Parteien bis zum 15. Dezember 2022 ein Rücktrittsrecht zu, sofern die Kaufpreisfälligkeit bis zum 15. August 2022 nicht eingetreten war ("Longstop-Date"). Für die Kaufpreisfälligkeit sind nach dem Vertrag u.a. eine Abnahme oder abnahmefähige Bauleistungen erforderlich.
Das Bauvorhaben wurde nicht abnahmereif fertiggestellt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 trat die Klägerin von dem Vertrag zurück. Das Landgericht hat der zunächst nur auf die Zahlung eines Teilbetrags der Vertragsstrafe in Höhe von 100.000 € und die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung einer weitergehenden Vertragsstrafe gerichteten Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte nach einer Klageerweiterung verurteilt, an die Klägerin 365.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Die wirksam vereinbarte Vertragsstrafe sei in voller Höhe verwirkt. Der Klägerin stehe ein Anspruch in Höhe des Maximalbetrags von 365.000 € zu, weil seit dem Fertigstellungstermin am 17. Oktober 2020 bis zum Rücktritt der Klägerin am 14. Dezember 2022 jedenfalls 286 Werktage verstrichen seien. Das Gericht gehe davon aus, dass es gemäß § 325 BGB grundsätzlich möglich sei, neben dem Rücktritt auch einen Verzugsschaden geltend zu machen. Ein Anspruch auf Vertragsstrafe sei einem solchen auf Schadensersatz gleichzustellen, wenn er den pauschalierten Ausgleich für einen Verzugsschaden bilde. So sei die Vertragsstrafenregelung in Ziffer 6.8. des Vertrags einzuordnen. Eine ausdrückliche Regelung dazu, ob die Vertragsstrafe nur im Falle der Durchführung des Vertrags, mithin dem Fortbestand der Primärleistungsschuld, zu zahlen sei und im Falle eines Rücktritts des Käufers entfalle, finde sich im Vertrag nicht. Unter Berücksichtigung von Wortlaut und Systematik ergebe insbesondere die teleologische Auslegung des Vertrags nach Sinn und Zweck, dass der Käufer die nach Ziffer 6.8. verwirkte Vertragsstrafe auch im Falle eines Rücktritts des Käufers beanspruchen könne.
Die Revision, mit der die Beklagte weiterhin Klageabweisung begehrt, hat keinen Erfolg. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass die vertraglichen Voraussetzungen eines Anspruchs der Klägerin auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5 % des Kaufpreises und damit in der zuerkannten Höhe bis zum Rücktritt der Klägerin am 14. Dezember 2022 vorlagen. Dieser Anspruch ist durch den von der Klägerin erklärten und wirksamen Rücktritt nicht erloschen. Das Berufungsgericht hat den Vertrag der Parteien dahin ausgelegt, dass der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe gemäß Ziffer 6.8. des Vertrags einen pauschalierten Ausgleich für einen Verzugsschaden bilde und die Klägerin die Vertragsstrafe auch im Fall ihres Rücktritts nach Ziffer 18.2. des Vertrags beanspruchen könne. Es kann offenbleiben, ob das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts dahin zu verstehen ist, die Parteien hätten vertraglich vereinbart, ein Vertragsstrafenanspruch bestehe auch nach einem Rücktritt der Klägerin gemäß Ziffer 18.2. des Vertrags fort, oder ob es dahin zu verstehen ist, der Vertrag stehe dem Fortbestehen des Anspruchs (nur) nicht entgegen. Für Ersteres spräche die abschließende Formulierung des Berufungsgerichts, für Letzteres, dass das Berufungsgericht den Vertrag erst im Anschluss von und im Zusammenhang mit gesetzlichen Regelungen, insbesondere § 325 BGB, auslegt. Im ersten Fall ist die Klage ohne Weiteres begründet. Zwingende gesetzliche Vorschriften zur Wirkung eines vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechts auf eine vertraglich vereinbarte Vertragsstrafe bestehen nicht. Im zweiten Fall führt die Anwendung des dispositiven Rechts ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Rücktritt der Klägerin ihren Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt gelassen hat. Die gesetzlichen Vorschriften über Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) und Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) enthalten zu den Rechtsfolgen eines Rücktritts in Bezug auf eine - wie hier - zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits verwirkte, jedoch noch nicht gezahlte Vertragsstrafe keine ausdrücklichen Regelungen. Sie sind dahin auszulegen, dass durch einen Rücktritt der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe grundsätzlich nicht erlischt.
Die allgemeinen Wirkungen des Rücktritts führen nicht zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung der bereits verwirkten Vertragsstrafe. Der Rücktritt von einem Vertrag führt nur zu dessen Umgestaltung für die Zukunft; der Rücktritt wirkt ex nunc. Durch ihn wird das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, wodurch die primären Leistungspflichten erlöschen. Damit führt er nicht ohne weiteres dazu, dass der (rechtliche) Zustand besteht, der ohne den Vertragsschluss bestanden hätte. Vielmehr ist im Einzelnen zu prüfen, welche Ansprüche erlöschen, verändert werden oder neu entstehen, um den Vertrag rückabzuwickeln. Aus dem Umstand, dass hiernach die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf Umbau des Gebäudes und Übereignung des Grundstücks erloschen sind, folgt nicht, dass der verwirkte Strafanspruch ebenfalls erloschen ist. Insbesondere ergibt sich das nicht daraus, dass § 339 Satz 1, § 341 Abs. 1 BGB jeweils eine "Verbindlichkeit" des Schuldners voraussetzen, die nicht in gehöriger Weise - hier: nicht zu der bestimmten Zeit - erfüllt wird. Denn zum Zeitpunkt der Verwirkung der Strafe, dem Eintritt des Verzugs (§ 339 Satz 1 BGB), bestand die Verbindlichkeit, ohne dass der Rücktritt hieran etwas ändert. Die weitere Systematik des Rücktrittsrechts bedingt ebenfalls kein Erlöschen des entstandenen Vertragsstrafenanspruchs. Es ergeben sich insbesondere keine Wertungswidersprüche zu den in § 346 Abs. 1, § 347 Abs. 1 BGB geregelten Ansprüchen wegen gezogener oder nicht gezogener Nutzungen aufgrund bereits empfangener und zurückzugewährender Leistungen. Das gilt im vorliegenden Fall schon deshalb, weil die Ausübung des vertraglichen Rücktrittsrechts nur bis zu einer abnahmefähigen Bauleistung und damit in einem Zeitraum möglich war, in dem noch keine Nutzungen aus dem verkauften Grundstück und dem zu errichtenden Wohnhaus gezogen werden konnten. Auch der Zweck einer Vertragsstrafe, die bei nicht rechtzeitiger Leistung verwirkt sein soll, spricht dafür, diese bei einem nachfolgenden Rücktritt nicht wieder entfallen zu lassen. Eine solche Strafe dient regelmäßig zum einen dazu, den Schuldner zur pünktlichen Leistungserbringung anzuhalten (Druckfunktion). Zum anderen soll sie pauschaliert einen dem Gläubiger durch den Verzug des Schuldners entstehenden Schaden ersetzen und insbesondere den Gläubiger davon entlasten, dessen Entstehung und Höhe im Einzelnen darzulegen und zu beweisen (Ausgleichsfunktion). Diese Ziele könnten nicht oder nur deutlich abgeschwächt erreicht werden, wenn ein bereits entstandener Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe durch einen Rücktritt wieder entfiele. Die Druckfunktion wäre herabgesetzt, weil der Schuldner - sogar gerade durch fortgesetzte Verzögerung seiner Leistung - darauf spekulieren könnte, den Gläubiger zu einem Rücktritt vom Vertrag zu provozieren. Die Ausgleichsfunktion wäre in zweierlei Hinsicht beeinträchtigt: Der Gläubiger erhielte zum einen nach einem Rücktritt vom Vertrag keinen pauschalen Ersatz eines ihm entstandenen Schadens. Zum anderen müsste er auch ohne einen Rücktritt spätestens bei Eintritt eines Schuldnerverzugs Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, bei einem nur eventuellen späteren Rücktritt seinen durch den Verzug bedingten Schaden darlegen und beweisen zu können; hiervor soll ihn die vereinbarte Vertragsstrafe jedoch gerade entlasten.
C. Kontext der Entscheidung
Vor der Schuldrechtsreform verlor der Gläubiger nach der Rechtsprechung zu § 325 BGB aF mit Ausübung des Rücktrittsrechts den Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (std. Rspr., vgl. nur: BGH, Urteil vom 20. Oktober 1994 – IX ZR 116/93 –, Rn. 19, mwN.). Im Zuge der Modernisierung des Schuldrechts wurde die Neuregelung des § 325 BGB eingeführt, die es dem Gläubiger im Falle einer ausgebliebenen oder nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung ermöglicht, vom Vertrag zurückzutreten, und ihm gleichzeitig das Recht einräumt, Schadensersatz zu verlangen (BGH, Urteil vom 14. April 2010 – VIII ZR 145/09 –, Rn. 15, mwN.). Nach der Intention des Gesetzgebers soll hierdurch die im früheren Recht in §§ 325, 326 BGB aF angelegte, nicht mehr als sachgerecht empfundene Alternativität zwischen dem Ersatz des Erfüllungsinteresses (Schadensersatz wegen Nichterfüllung) und der Ausübung des Rücktrittsrechts aufgegeben und durch eine Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz abgelöst werden (BT-Drs. 14/6040, S. 187 f.). Dadurch soll gewährleistet werden, dass der Gläubiger die Rechtsfolgen beider Rechtsbehelfe miteinander kombinieren kann (BT-Drs. 14/6040, S. 188). Aufgrund der Neuregelung des § 325 BGB wird es dem Gläubiger ermöglicht, vom Vertrag zurückzutreten und eine erbrachte Gegenleistung zurückzufordern, ohne den Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses zu verlieren (BGH, Urteil vom 28. November 2007 – VIII ZR 16/07 –, Rn. 7). Der Gläubiger kann daher den bis zum Rücktritt entstandenen Verspätungsschaden ersetzt verlangen (Ulber in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 325 Rn. 10, mwN.). Bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden war, ob das auch für den Vertragsstrafenanspruch gilt. Dem Urteil des VII. Zivilsenats kommt das Verdienst zu, diese Frage entschieden zu haben. Da eine Vertragsstrafe einen pauschalierten Verzugsschaden darstellt, der dem Gläubiger die Berechnung seines Mindestschadens erleichtern soll, sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die dem Gläubiger verwehren könnten, nach Erklärung des Rücktritts die Vertragsstrafe zu verlangen. Folgerichtig hat der Senat der Klägerin den Anspruch auch gewährt. Voraussetzung ist lediglich, dass sich dem Vertrag der Parteien keine abweichende Regelung für den Fall des Rücktritts des Gläubigers entnehmen lässt.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass der Klägerin die Berufung auf die verwirkte Vertragsstrafe nicht gemäß § 242 BGB wegen unzulässiger Rechtsausübung verwehrt ist. Ein Vertragsstrafengläubiger verletzt weder eine Schadensminderungsobliegenheit noch handelt er treuwidrig, wenn er ein wegen Verzugs des Schuldners erworbenes Rücktrittsrecht in dem hierfür vertraglich vorgesehenen Zeitraum ausübt. Insbesondere besteht keine Obliegenheit des Vertragsstrafengläubigers, von einem Rücktritt abzusehen, um dem Schuldner noch eine Chance darauf zu geben, dass die Strafe, wie § 341 Abs. 3 BGB bestimmt, nicht mehr verlangt werden könnte, wenn der Gläubiger sich das Recht dazu bei der Annahme der Erfüllung nicht vorbehalten sollte (BGH, Urteil vom 22. Mai 2025 – VII ZR 129/24 –, Rn. 31).
Zum Wideruf eines Architektenvertrages als Fernabsatzvertrag
1. Das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312 g Abs. 1 BGB gilt auch für Architektenverträge.
2. Eine Ausnahme vom entsprechenden Grundsatz ist anzunehmen, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB). Dies ist im Einzelfall gegeben, wenn ein Architekt, der Angebote stets nach Ortsterminen mit den Auftraggebern (Bauherren) an den jeweiligen Baustellen abgibt, ursprünglich auf einen Ortstermin zur Angebotsbesprechung hingewirkt hat und der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln der Zufälligkeit einer Ortsabwesenheit des Auftraggebers geschuldet ist.
OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Februar 2025 – 29 U 42/24
A. Problemstellung
Nach § 312c BGB sind trotz der ausschließlichen Verwendung von Fernkommunkationsmitteln durch den Unternehmer und den Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss Verträge keine Fernabsatzverträge, wenn der Vertragsschluss „nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“ erfolgt. Unter welchen Voraussetzungen diese Ausnahme für Architektenverträge erfüllt ist, hatte der OLG Frankfurt zu entscheiden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten um die Rückzahlung geleisteter Architektenvergütung aufgrund eines verbraucherschützenden Widerrufs. Im Jahr 2022 waren die Klägerin und ihr Partner auf der Suche nach einer baulichen Begleitung für die Renovierung und Sanierung eines von ihnen erworbenen Anwesens. Zu diesem Zweck traten sie an den Beklagten, einen Architekten, heran, der ihnen nach ausführlichem E-Mailverkehr und per Fernkommunikation mittels des Onlineportals „Zoom“ geführten Gesprächen (April bis August 2022) sodann am 17.8.2022 ein Angebot über die Erstellung von Bestandsplänen und eines ersten Entwurfs zum Preis von 4.460 € netto unterbreitete. Dieses Angebot nahm die Klägerin an. Dabei erfolgten sowohl die gesamte vorvertragliche Kommunikation als auch der Vertragsschluss selbst ausschließlich per E-Mail, Telefon und Videokonferenz, weil die Klägerin im fraglichen Zeitraum in L. weilte; im Juni 2022 hatte die Klägerin eine Honorarvereinbarung angefragt. Nichtsdestotrotz wurde dem Beklagten bereits vor Vertragsschluss Zugang zur Immobilie der Klägerin gewährt, indem vor Ort ein Schlüssel deponiert wurde, sodass der Beklagte im Juli / August 2022 das Objekt in Augenschein nehmen konnte. Diesen Ortsterminen wohnte die ortsabwesende Klägerin allerdings nicht bei. Der Beklagte beharrte nicht auf einer gemeinsamen Inaugenscheinnahme vor Vertragsschluss. Der erste gemeinsame Ortstermin bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit beider Parteien erfolgte vielmehr erst nach Vertragsschluss am 5.9.2022. Dabei wurden die Bestandspläne und zwei Entwurfsvarianten von den Parteien besprochen. Nachdem die Pläne der Klägerin auch per E-Mail übermittelt worden waren, beglich sie den in Rechnung gestellten Bruttobetrag von 5.307,40 €. In der Folge arbeiteten die Parteien weiter rege am gemeinsamen Projekt, wobei der Beklagte mehrfach konkrete Vorstellungen der Klägerin hinsichtlich des geplanten Umbaus wie auch zahlreiche Änderungswünsche einarbeitete, ohne dass für diese Leistungen nochmals eine separate Vergütungsvereinbarung getroffen wurde. Auch kontaktierte der Beklagte weitere Handwerker, den Statiker und den Energieberater für weitere Besprechungen, ohne hierfür eine Rechnung zu stellen; die Klägerin bestätigte die Leistungen des Beklagten zunächst und stellte anhand von Plänen / Zeichnungen weitere Rückfragen. Als der Beklagte die weitere Zusammenarbeit vom Abschluss einer Honorarvereinbarung nach der HOAI abhängig machte, rügte die Klägerin eine Fehlerhaftigkeit der ursprünglich erstellten Pläne. Schlussendlich widerrief sie mit E-Mail vom 28.10.2022 den Vertrag über die Erstellung der Bestandspläne und eines ersten Entwurfs und forderte den Beklagten zur Rückzahlung des geleisteten Betrags in Höhe von 5.307,40 € auf. Schriftliche oder mündliche Informationen zu einem Widerrufsrecht hinsichtlich des Vertrags waren der Klägerin seitens des Beklagten zu keinem Zeitpunkt vor Vertragsschluss im August 2022 erteilt worden. Der Beklagte selbst betreute während seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt in den letzten 22 Jahren ca. 250 Bauvorhaben und schloss mit der Klägerin erstmals einen Planungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ab. Vielmehr fanden stets vor der Angebotsabgabe bzw. dem finalen Vertragsabschluss Ortstermine zwischen dem Beklagten und den Auftraggebern (Bauherren) an der jeweiligen Baustelle statt. Das Landgericht hat die Klage in vollem Umfang zuerkannt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Klägerin das begehrte verbraucherschützende Widerrufsrecht infolge eines Fernabsatzvertrags zustehe.
Die Berufung hat Erfolg. Die Regeln des verbraucherschützenden Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrags sind grundsätzlich einschlägig. Der Architektenvertrag ist zwar kein Verbraucherbauvertrag und die Vorschriften über den Widerruf dieses Vertragstyps sind auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. § 650 q Abs. 1 BGB). Jedoch gelten die Vorschriften über das allgemeine Widerrufsrecht für Verbraucherverträge: Wurde ein Architekten- oder Ingenieurvertrag außerhalb von Geschäftsräumen des Architekten/Ingenieurs abgeschlossen, dann ist der Widerruf durch den Bauherrn bei Vorliegen der Voraussetzungen möglich (§§ 312 g, 355 BGB). Denn das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gem. § 312 g Abs. 1 BGB gilt auch für Architektenverträge. Zu Recht weist jedoch der Beklagte darauf hin, dass im vorliegenden Einzelfall eine Ausnahme vom entsprechenden Grundsatz anzunehmen ist, weil der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (§ 312c Abs. 1 BGB). Das Erfordernis eines solchermaßen zu verstehenden Fernabsatzsystems hat in erster Linie den Zweck, Geschäfte, die nur zufällig unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts auszuklammern (BT-Drs. 14/2658, 30. Solches trifft auch auf Unternehmer zu, die Angebote regelmäßig erst nach einem vorhergehenden Ortstermin abgeben; hier fehlt es häufig an einem auf den Fernabsatz ausgerichteten Geschäftsbetrieb. So hat das OLG Schleswig ausgeführt: „Ist der Vertrag ausschließlich über Fernkommunikationsmittel geschlossen worden, so wird zulasten des Unternehmers widerleglich vermutet, dass sein Vertriebs- und Dienstleistungssystem auf den Fernabsatz ausgerichtet ist. Die Darlegungs- und Beweislast, dass ein ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln zustande gekommener Vertrag nicht im Rahmen eines hierauf gerichteten Vertriebs- und Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist, liegt mithin bei ihm. Der Sachverhalt ist hier jedoch unstreitig. Auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts steht fest, dass der Bekl. seinen Betrieb nicht in solcher Weise organisiert hat. Der Bekl. hält eine Webseite vor, in der er über sein Leistungsangebot informiert und über die er durch ein eingebundenes Nachrichtentool kontaktiert werden kann. Ein unmittelbares Leistungsangebot findet sich dort nicht. Er hat zwar keine Geschäftsräume, in denen er aufgesucht werden könnte. Dies liegt seinem Vortrag zufolge aber nicht daran, dass er sich für den Kundenkontakt auf Fernkommunikation eingestellt hat, sondern daran, dass er seine Kunden ohnehin immer aufsuchen muss. Dieser Vortrag ist unstreitig und nachvollziehbar. Das Angebot zu garten- und landschaftsgestalterischen Arbeiten setzt zwangsläufig voraus, dass sich der Dienstleister zuvor ein Bild vor Ort gemacht hat. Wie es sodann zum Vertragsschluss kommt, ist offen. Er kann mündlich erfolgen, ausschließlich über Fernkommunikationsmittel oder durch Unterbreitung eines vor Ort noch einmal besprochenen Angebots. Der Geschäftsbetrieb des Bekl. ist jedenfalls gerade nicht darauf ausgelegt, Verträge über die angebotenen Dienstleistungen ausschließlich im Wege der Fernkommunikation zu schließen. Der Bekl. hat seinen Vertrieb vielmehr so organisiert, dass stets im Laufe der Vertragsanbahnung oder des Vertragsschlusses persönlicher Kontakt vorgesehen ist.“ (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 15. Oktober 2021 – 1 U 122/20). Entsprechend vergleichbar liegen die Dinge hier, zumal ausweislich des vorgelegten außergerichtlichen Schriftverkehrs der Beklagte selbst offenbar ursprünglich auf einen gemeinsamen Ortstermin zur Angebotsbesprechung hingewirkt hatte und der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ersichtlich der Zufälligkeit einer Ortsabwesenheit der Klägerin geschuldet war – wenn nicht mit dem Beklagtenvortrag sogar einem treuwidrig-planvollen Verhalten, wozu der Senat sich allerdings abschließend nicht verhalten muss. So hat der Beklagte zuletzt vorgetragen, dass er selbst während seiner beruflichen Tätigkeit als Architekt in den letzten 22 Jahren ca. 250 Bauvorhaben betreut und im hiesigen Einzelfall erstmals einen entsprechenden Planungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmittel geschlossen habe. Im Übrigen hätten stets vor der Angebotsabgabe bzw. dem finalen Vertragsabschluss Ortstermine zwischen dem Beklagten und den Auftraggebern (Bauherren) an der jeweiligen Baustelle stattgefunden. All dies ist mit Blick auf die typischen Gepflogenheiten des Berufsbildes ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar und im Übrigen von der Klägerseite so auch nicht (mehr) konkret bestritten worden.
Es kann sich die Klägerin auch nicht auf ein einschlägiges gesetzliches Rücktrittsrecht bzw. die ins Feld geführten „Gewährleistungsrechte“ berufen. Denn weder sind hierfür hinreichend konkretisierte Mängelrügen nebst angemessener Nachfristsetzung (näher) dargelegt oder etwa ein Rücktrittsbegehren auch nur konkret geäußert, noch erklärt die Klägerin den Umstand ihrer vorbehaltlosen Zahlung plausibel. Letzterer ist vielmehr hier im Sinne eines „Zeugnisses gegen sich selbst“ zu werten, demgegenüber (über den eigentlich ins Feld geführten Widerruf hinausgehende) Rückforderungstatbestände so nicht hinreichend ersichtlich sind. Auch Minderungsrechte stehen der Klägerin nicht zur Seite. Zwar kann der Honoraranspruch ganz oder teilweise dann entfallen, wenn der Tatbestand einer Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts des BGB oder des werkvertraglichen Gewährleistungsrechts erfüllt ist, die den Verlust oder die Minderung der Honorarforderung als Rechtsfolge vorsieht. Weder ist jedoch von einer Mangelhaftigkeit auszugehen, noch hätte die Klägerin überhaupt eine Minderung erklärt oder dargelegt. Und auch unter dem Gesichtspunkt einer etwa freien Kündigung – welche sie als rechtskundige Rechtsanwältin allerdings schon gar nicht geltend macht – stünden der Klägerin hier so keine Rückforderungsansprüche zu. Zwar kann eine Beendigungserklärung (Rücktritt oder Widerruf) im Einzelfall durch den Tatrichter auch als freie Kündigung iSv. § 648 BGB auszulegen bzw. umzudeuten sein. So ist anerkannt, dass die Verkehrsauffassung etwa dem Ausdruck “Rücktritt” nicht die gesetzestechnische Bedeutung beimisst, sondern hieraus zunächst einmal lediglich schließt, dass der Gläubiger auf die geschuldete Leistung keinen Wert mehr legt; dies gilt auch dann, wenn ein Rechtsanwalt das Schreiben verfasst hat. Zum einen spricht jedoch eingedenk der Zahlung der Klägerin an den Beklagten auf die Aushändigung der Werkplanung hin alles für eine die freie Kündigung ausschließende Vollendung des Werks (§ 648 S. 1 BGB) - nichts Anderes ist hier tragfähig aufgezeigt. Und zum anderen ist auch nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass die stattgehabten Leistungen des Beklagten mit dem streitgegenständlichen Betrag etwa unangemessen abgebildet wären. Jedenfalls ergäbe sich wertungsgemäß ein Abrechnungsverhältnis. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass grundsätzlich nach freier Kündigung durch den Auftragnehmer differenziert schlusszurechnen ist. Insbesondere jedoch, wenn nach Sachlage davon auszugehen ist, dass der Auftraggeber die (pauschal) abgerechneten Kosten zu tragen hat, muss dem Auftragnehmer nicht notwendigerweise abverlangt werden, eine detaillierte(re) Darstellung der Vertragspreise vorzunehmen. Denn das Gericht darf seine Feststellungen hier nach freier Überzeugung treffen (§ 287 Abs. 1 ZPO). Selbst bei Annahme einer – so allerdings schon nicht geltend gemachten und auch nicht gangbaren – freien Kündigung bliebe hier auf den unwidersprochen gebliebenen Beklagtenvortrag hinzuweisen, dass im Falle einer Abrechnung der Entwurfsplanung nach der HOAI noch von deutlich höheren Kosten auszugehen sein würde. Mit Blick auf das ersichtlich unter dem Eindruck einer Akquiseerwartung abgegebene Angebot erscheint all dies zumal nicht unplausibel.
C. Kontext der Entscheidung
Fernkommunikationsmittel sind nach § 312b Abs. 2 BGB Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrages zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien eingesetzt werden können, insbes. Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails sowie Rundfunk-, Tele- und Mediendienste. Fernabsatzverträge stellen keinen eigenständigen Vertragstyp dar, sondern unterscheiden sich allein in der Abschlusstechnik, also der Art und Weise des Zustandekommens, von anderen Verträgen. Es bedarf also des Vorliegens von Angebot und Annahme nach §§ 145ff BGB; der Inhalt dieser Erklärungen richtet sich nach den Vorschriften des Schuldrechts. Die Willenserklärungen können dabei in jeder elektronischen Form, auch „online“ im Internet abgegeben werden (Koch in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 312c Rn. 6). Nach § 312c Abs. 1 Halbs. 2 BGB muss zudem ein auf diese Kommunikationsmittel zugeschnittenes und entsprechendes organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem des Unternehmers bestehen. Nicht ausreichend ist der zufällige oder gelegentliche Einsatz der Fernkommunikationsmittel (Koch aaO. Rn. 9). Ein Rechtsanwalt, der einen Anwaltsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen hat, muss darlegen und beweisen, dass seine Vertragsschlüsse nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgen. Ist ein auf ein begrenztes Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt deutschlandweit tätig, vertritt er Mandanten aus allen Bundesländern und erhält er bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland, kann dies bei einer über die Homepage erfolgenden deutschlandweiten Werbung im Zusammenhang mit dem Inhalt seines Internetauftritts für ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem sprechen (BGH, Urteil vom 19. November 2020 – IX ZR 133/19).
D. Auswirkungen für die Praxis
Ein Fernabsatzvertrag liegt nur vor, wenn die Parteien auch für die Vertragsverhandlungen ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet haben. Das ist nicht der Fall, wenn die Parteien vor Abschluss beider Verträge Vertragsverhandlungen in persönlichen Gesprächen führten (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 15. Oktober 2021 – 1 U 122/20 –, Rn. 26; dazu: Starnecker, jurisPR-ITR 24/2021 Anm. 4). Entscheidend für die Anwendbarkeit des § 312c BGB ist, ob der Geschäftsbetrieb des Unternehmers darauf ausgelegt ist, Verträge über die von ihm angebotenen Dienstleistungen ausschließlich im Wege der Fernkommunikation zu schließen. Hat der Unternehmer seinen Vertrieb so organisiert, dass stets im Laufe der Vertragsanbahnung oder des Vertragsschlusses persönlicher Kontakt vorgesehen ist, liegt kein Fernabsatzvertrag nach § 312c BGB vor (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 15. Oktober 2021 – 1 U 122/20 –, Rn. 40). Die Beweislast für den Ausnahmetatbestand des § 312c Abs. 1 Halbs. 2 BGB trägt der Unternehmer (Baumgärtel/Repgen, Beweislast, Bd. II, 5. Aufl. 2023, § 312c Rn. 6 mwN.).
BGH: Zum Widerruf des Verzichts auf einen Zeugen
Der Verzicht auf einen Zeugen nach § 399 ZPO ist widerruflich. Eine Partei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hat, ist durch § 399 ZPO nicht gehindert, den Zeugen im selben Rechtszug oder im selben Rechtsstreit später erneut zu benennen.
BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – V ZR 152/24
A. Problemstellung
§ 399 ZPO erlaubt es einer Partei, auf einen Zeugen, den sie vorgeschlagen hat, zu verzichten. Ob eine Partei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hatte, den Zeugen später erneut benennen kann, hatte der V. Zivilsenat zu entscheiden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte veräußerte mit Kaufvertrag vom 17. Mai 2011 an den Kläger eine Grundstücksteilfläche von ca. 1.000 m² zur Bebauung unter Ausschluss der Rechte wegen Sachmängeln aller Art. In einem im Jahr 2004 von der Beklagten mit ihren damaligen Nachbarn, dem Zeugen Sch. und dessen (verstorbener) Ehefrau, geführten Schiedsverfahren hatte die Schiedsstelle im Juni 2004 festgestellt, durch das Grundstück der Beklagten verlaufe ein „verrohrtes Entwässerungssystem“. Bei den vom Kläger durchgeführten Abrissarbeiten wurde eine über das Teilgrundstück des Klägers unterirdisch in ca. 13 cm Tiefe verlaufende Abwasserleitung, die der Entwässerung von vier Nachbargrundstücken diente, beschädigt. Die Existenz der Leitung war weder in amtlichen Unterlagen vermerkt noch in dem Lageplan, der der Niederschrift zum Grenztermin zur Neuvermessung des Kaufgrundstücks beigefügt war. Gestützt auf die Auffassung, die Beklagte habe die bestehende Verrohrung gekannt und arglistig verschwiegen, begehrt der Kläger Erstattung seiner Aufwendungen für die Wiederherstellung der Rohrleitungen in Höhe von 3.876,73 € sowie Schadensersatz in Höhe weiterer 22.600 € wegen der eingeschränkten Nutzungstauglichkeit des Grundstücks. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Im Hinblick auf den wirksam vereinbarten Haftungsausschluss setze eine Haftung der Beklagten wegen Sachmängeln voraus, dass sie dem Kläger die Entwässerungsleitung arglistig verschwiegen habe. Zwar handele es sich bei dem unterirdischen Abwassersystem um einen Mangel. Der Kläger habe aber den ihm obliegenden Beweis für das arglistige Verschweigen der Abwasserleitung durch die Beklagte nicht erbracht. Das Landgericht habe die von der Beklagten behauptete Unkenntnis von der Abwasserleitung nicht als sicher widerlegt angesehen. Die Beweisaufnahme des Landgerichts sei im Hinblick auf die unterlassene Vernehmung des Zeugen Sch. nicht unvollständig. Der Kläger habe mit Schriftsatz vom 31. Juli 2018 ausdrücklich auf die Vernehmung des Zeugen verzichtet. Der Verzicht nach § 399 ZPO habe zur Folge, dass dem erstinstanzlichen Gericht eine Verwertung dieses Beweismittels verwehrt sei. Ob die in erster Instanz zurückgezogenen Zeugen im Berufungsverfahren erstmals zu vernehmen seien, sei nach den Regelungen zur Tatsachengrundlage der Berufungsentscheidung zu beantworten (§§ 529 ff. ZPO). Der Beweisantritt wäre als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSd. § 531 Abs. 2 ZPO zu werten. Diese Frage könne jedoch dahinstehen, weil der Zeuge Sch. von dem Kläger in zweiter Instanz nicht ausdrücklich erneut als Zeuge benannt sei.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. So verhält es sich hier. Das Berufungsgericht übergeht das erhebliche, auf Vernehmung des Zeugen Sch. gerichtete Beweisangebot des Klägers prozessordnungswidrig. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der von einer Partei prozessual wirksam erklärte Verzicht auf den von ihr benannten Zeugen zur Folge hat, dass das Gericht den Zeugen nicht (weiter) vernehmen darf. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht jedoch, es mangele an einem Beweisantritt des Klägers, weil er erstinstanzlich gemäß § 399 ZPO auf die Vernehmung des von ihm benannten Zeugen Sch. verzichtet und damit sein ursprüngliches Beweisangebot widerrufen habe. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 29. Mai 2018 darauf hingewiesen, dass nach der bisherigen Beweisaufnahme von einer Kenntnis der Beklagten von der unterirdischen Abwasserleitung auszugehen sei, der Zeuge Sch. nach dem vorgelegten ärztlichen Attest gegenwärtig seiner Ladung wohl nicht nachkommen würde und daher unter Umständen nur eine Vernehmung vor Ort durch einen beauftragten und ersuchten Richter infrage komme, wenn der Kläger nicht auf diesen Zeugen verzichten wolle. Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 31. Juli 2018 erklärt, auf den Zeugen Sch. zu verzichten. Nachdem das Landgericht mit Verfügung vom 6. Juli 2022 mitgeteilt hatte, dass sich die Einschätzung des Gerichts hinsichtlich der Beweiswürdigung geändert habe, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Mai 2023 klargestellt, dass er auf den Zeugen Sch. allein unter der Voraussetzung verzichtet habe, dass das Gericht den Beweis als erbracht ansehe. Da der Verzicht unter den geänderten Voraussetzungen keinen Bestand mehr habe, weise er darauf hin, dass er an dem Beweisangebot ausdrücklich festhalte.
Nach diesem Prozessverlauf durfte das Berufungsgericht nicht annehmen, das Landgericht habe alle benannten Beweismittel ausgeschöpft, da der Kläger auf den Zeugen Sch. ausdrücklich verzichtet habe. Der Kläger hat den Verzicht zur Verfahrensbeschleunigung ersichtlich nur angesichts der von dem Landgericht geäußerten Überzeugung erklärt, der Beweis einer Arglist der Beklagten sei nach dem Ergebnis der bislang durchgeführten Beweisaufnahme bereits erbracht. Dies hat er im Schriftsatz vom 23. Mai 2023 auch ausdrücklich klargestellt. Die Erklärung des Einverständnisses mit dem Unterbleiben der Vernehmung für den Fall, dass das Gericht den Beweis der streitigen Behauptung schon als erbracht ansieht, ist schon kein Verzicht iSd. § 399 ZPO. Eine derartige Erklärung ist nicht von einem endgültigen Verzichtswillen getragen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die erklärende Partei an ihrem Beweisantrag festhält, sofern das Gericht seine Überzeugung ändert. So war es hier. Dementsprechend ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Verzicht erklärt habe.
Zudem lässt das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft außer Acht, dass der Kläger bereits in erster Instanz einen etwa erklärten Verzicht widerrufen und erneut Beweis durch Benennung des Zeugen Sch. angetreten hat. Der Verzicht auf einen Zeugen nach § 399 ZPO ist widerruflich. Eine Partei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hat, ist durch § 399 ZPO nicht gehindert, den Zeugen im selben Rechtszug oder im selben Rechtsstreit später erneut zu benennen. In der Erklärung des Klägers in seinem Schriftsatz vom 23. Mai 2023, an dem Beweisangebot ausdrücklich festzuhalten, ist bei verständiger Würdigung daher jedenfalls ein erneuter Beweisantritt zu erblicken. Zwar kann ein solcher gemäß § 282, § 296 Abs. 2, § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert sein. Das Landgericht hat den zweiten Beweisantrag des Klägers aber nicht als verspätet zurückgewiesen. Ohnehin handelte es sich - wie ausgeführt - nicht um einen neuen Beweisantrag, weil ein Verzicht nicht erklärt worden war. Der hieraus folgende Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es den für die Arglist begründende behauptete Kenntnis der Beklagten angebotenen Beweis durch Vernehmung des Zeugen Sch. erhoben hätte.
C. Kontext der Entscheidung
Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass eine Vernehmung des Zeugen auch nicht deshalb ausscheidet, weil er - wie das Landgericht nach dem überreichten ärztlichen Attest angenommen hat - krankheitsbedingt nicht vernehmungsfähig ist (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – V ZR 152/24 –, Rn. 13). Dass es sich so verhält, steht nicht fest. Das vorgelegte Attest belegt nur das krankheitsbedingte Unvermögen des Zeugen, der Ladung Folge zu leisten, nicht aber dessen dauerhafte Vernehmungsunfähigkeit. Das Berufungsgericht muss daher bei einer andauernden Reiseunfähigkeit eine Vernehmung des Zeugen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter (§ 375 ZPO), eine Vernehmung per Videokonferenz (§ 128a ZPO) oder die Anordnung einer schriftlichen Beantwortung der Beweisfrage (§ 377 Abs. 3 ZPO) in Erwägung ziehen. Steht der Aufnahme des Beweises ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegen, so hat das Gericht nach § 356 ZPO durch Beschluss eine Frist zu bestimmen, nach deren fruchtlosem Ablauf das Beweismittel nur benutzt werden kann, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts dadurch das Verfahren nicht verzögert wird. An einem Hindernis iSv. § 356 ZPO fehlt es jedoch, wenn das Gericht hat nicht sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für die Durchführung einer Zeugenvernehmung ausgeschöpft. Wenn ein Zeuge nach vorgelegter ärztlicher Bescheinigungen zwar nicht reisefähig ist und deshalb weder vor dem erkennenden Gericht noch vor dem von diesem für eine Videovernehmung ausgewählten Gericht erscheinen kann, ergibt sich daraus aber noch keine Undurchführbarkeit der Zeugenvernehmung. Vielmehr stehen einem Gericht dazu weitere Möglichkeiten zur Verfügung, welche die Reisefähigkeit des Zeugen nicht voraussetzten. So besteht die Möglichkeit, den Zeugen nach § 375 Abs. 1 Nr. 2 ZPO durch ein Mitglied des erkennenden Spruchkörpers zu vernehmen. Steht dem entgegen, dass ein unmittelbarer Eindruck von dem Zeugen unerlässlich ist, muss das Gericht eine Vernehmung des Zeugen durch den vollbesetzten Senat in dessen Wohnung gemäß § 219 Abs. 1 ZPO in Erwägung ziehen und erforderlichenfalls durchführen (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2025 – XII ZR 5/23 –, Rn. 7 – 9).
D. Auswirkungen für die Praxis
Von einer Vernehmung des Zeugen hatte das Landgericht auch mit der Begründung abgesehen, die Vernehmung werde sich „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ als unergiebig erweisen. Diese Beurteilung läuft auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus. Zwar hat der Zeuge dem Landgericht nach erhaltener Ladung wiederholt schriftlich mitgeteilt, dass er zur Sache nichts sagen könne. Die Erklärung lässt aber den Grund hierfür offen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Zeuge auf Erinnerungslücken beruft, die aber nach Vorhalten aus dem Parteivortrag wieder geschlossen werden können (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – V ZR 152/24 –, Rn. 14). Auch die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen vermeintlicher Widersprüche im Vortrag der beweisbelasteten Partei läuft auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus und verstößt damit zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Beschluss vom 20. November 2024 – VII ZR 191/23). Das Gericht darf einen angebotenen Zeugenbeweis auch nicht deswegen ablehnen, weil sich seiner Auffassung nach aus einer außergerichtlichen schriftlichen Erklärung des Zeugen gegen die Behauptung des Beweisführers sprechende Umstände ergeben. Wenngleich die einer außergerichtlichen Erklärung des Zeugen zu entnehmenden Umstände im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden dürfen und müssen, berechtigen sie das Gericht doch nicht, angebotene Beweise nicht zu erheben. Denn darin würde eine nicht zulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung liegen (BGH, Urteil vom 20. März 2025 - IX ZR 141/23, Rn. 19).
BGH: Zum Ausschluss von der Ausübung des Richteramts
1. Ein Richter, der in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hat, das im die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist, ist nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen.
2. In einem solchen Fall kommt eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur im Einzelfall in Betracht, wenn besondere Umstände darauf hindeuten, dass der Richter nicht bereit ist, seine frühere Beurteilung ergebnisoffen zu überprüfen.
BGH, Beschluss vom 27. März 2025 – I ZB 40/24
A. Problemstellung
Der I. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob der Vorsitzende eines Berufungssenats gemäß § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist, wenn er in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hatte, das in dem die Instanz abschließenden streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In einem Wettbewerbsprozess war Vorsitzender Richter am OLG K. (im Folgenden: K.), damals noch als Vorsitzender einer Zivilkammer des Landgerichts, in erster Instanz am Erlass eines (ersten) Versäumnisurteils gegen die Beklagte beteiligt. Durch Endurteil, erlassen ohne die Beteiligung von K., erhielt die Kammer das Versäumnisurteil im Wesentlichen aufrecht. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. K. sitzt dem zuständigen Berufungssenat des OLG vor. Die Beklagte meint, er sei wegen Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Der Berufungssenat hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten für unbegründet erklärt. Die Mitwirkung an einem die Instanz nicht abschließenden Versäumnisurteil führe nicht zu einem Ausschluss nach § 41 Nr. 6 ZPO. Es sei auch nicht nach § 42 Abs. 2 ZPO die Besorgnis der Befangenheit begründet. Aus Sicht eines objektiven Betrachters sei die Neutralität des Richters durch seine frühere Befassung nicht in Frage gestellt. Es liege keine atypische prozessuale Situation vor, die - auch ohne Hinzutreten weiterer, in der Person des abgelehnten Richters begründeter Umstände - bei einer besonnen denkenden Partei bei vernünftiger Betrachtung die begründete Besorgnis der Befangenheit entstehen lassen könne (OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. Mai 2024 – 6 U 212/23).
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Oberlandesgericht auf Veranlassung des betroffenen Richters (§ 48 Fall 2 ZPO) und auf das Ablehnungsgesuch der Beklagten (§ 42 Abs. 1 ZPO) entschieden, dass dieser zur Mitwirkung in zweiter Instanz berufen ist. K. ist im vorliegenden Berufungsverfahren nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Danach ist ein Richter in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt, von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen. Dieser Ausschlussgrund greift nicht ein, wenn der Richter - wie im Streitfall - in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hat, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist.
Es liegt zwar eine Mitwirkung in einem früheren Rechtszug vor, die sich nicht lediglich auf die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters erstreckt. Die Mitwirkung betrifft jedoch nicht den Erlass der angefochtenen Entscheidung. Nach § 511 Abs. 1 ZPO findet die Berufung gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. Vorliegend ist das die erste Instanz beendende Urteil nicht das Versäumnisurteil vom 8. März 2023, an dem K. mitgewirkt hat, sondern das Urteil vom 23. November 2023 aufgrund streitiger mündlicher Verhandlung, an dem K. nicht mitgewirkt hat. Dass mit dem angefochtenen Urteil ein unter Mitwirkung des Richters erlassenes Versäumnisurteil aufrechterhalten worden ist (§ 343 Satz 1 ZPO), stellt keine Mitwirkung des Richters an der angefochtenen Entscheidung dar. Bei einem zulässigen Einspruch gegen ein Versäumnisurteil ist das Gericht zu einer vollständigen Prüfung der Sache verpflichtet, und zwar auch dann, wenn der durch § 342 ZPO bewirkte Wegfall der Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu einer Veränderung der Tatsachengrundlage führt. Insbesondere kann und muss es die Schlüssigkeit der Klage ohne Bindung an das Versäumnisurteil neu beurteilen. Die in § 343 Satz 1 ZPO vorgesehene Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils hat den vollstreckungsrechtlichen Grund, dass bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen fortgelten sollen. Soweit das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt und das durch die erstinstanzliche Endentscheidung aufrechterhaltene Versäumnisurteil aufhebt, dient dies der Beseitigung der darin liegenden Vollstreckungsgrundlage. Das Versäumnisurteil wird dadurch nicht zur im Berufungsrechtszug angefochtenen Entscheidung.
Es ist nicht geboten, die Regelung des § 41 Nr. 6 ZPO über ihren Wortlaut hinaus auf die Mitwirkung an einem ersten Versäumnisurteil anzuwenden, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist. Die Zivilprozessordnung wird von dem Gedanken geprägt, dass Richterinnen und Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantreten, wenn sie sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet haben. Das Verfahrensrecht sieht sie dazu in der Lage, ihre rechtliche Beurteilung fortlaufend zu überprüfen, sei es innerhalb desselben Verfahrens, sei es in einem nachfolgenden Verfahren. Die Regelung des § 41 Nr. 6 ZPO stellt eine begrenzte Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Rechtsmittelverfahrens sollen Richterinnen und Richter eine Entscheidung, an der sie selbst mitgewirkt haben, nicht in einem späteren Rechtszug überprüfen. Darüber hinaus eröffnet § 42 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2 und 3 ZPO jeder Partei das Recht, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Für eine analoge Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO fehlt es daher bereits an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet keine verfassungskonforme Auslegung dahin, dass Richterinnen und Richter auch in Fällen, in denen sie ohne Beteiligung an der angefochtenen Entscheidung mit der Sache bereits befasst waren, von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen sind. Bei der näheren Ausgestaltung denkbarer Konfliktfälle steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Er kann dem verfassungsrechtlichen Gebot, Neutralität und Distanz des Gerichts abzusichern, dadurch Rechnung tragen, dass er entweder den gesetzlichen Ausschluss anordnet oder das Ablehnungsverfahren eröffnet. Der Ausschluss kraft Gesetzes nach § 41 Nr. 6 ZPO ist geeignet, für bestimmte Fallgruppen aus sich heraus Klarheit zu schaffen. Daneben ermöglicht das Ablehnungsverfahren die Berücksichtigung von besonderen Umständen des Einzelfalls. Auf dieser Grundlage kann bei gegebenem Anlass den Belangen der Prozessparteien auch dann Rechnung getragen werden, wenn § 41 Nr. 6 ZPO nicht eingreift.
Auch ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2 ZPO) wäre unbegründet. Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Eine richterliche Vorbefassung, die nicht zu einem Ausschluss gemäß § 41 Nr. 4 bis Nr. 8 ZPO führt, ist in der Regel nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. In diesen Fällen kommt eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur im Einzelfall in Betracht, wenn besondere Umstände darauf hindeuten, dass der Richter nicht bereit ist, seine frühere Beurteilung ergebnisoffen zu überprüfen. Solche besonderen Umstände sind weder von den Parteien vorgetragen noch sonst ersichtlich.
C. Kontext der Entscheidung
Der Entscheidung des I. Zivilsenats des BGH stand zunächst entgegen, dass der 5. Senat des BAG für die vorliegende Konstellation aufgrund des von ihm angenommenen „inneren Grundes der Vorschrift des § 41 Ziff. 6 ZPO“ diese Bestimmung sinngemäß angewendet hat (BAG, Beschl. v. 07.02.1968 - 5 AR 43/68 Rn. 7). Sie solle nach Auffassung des 5. Senates des BAG verhüten, dass ein Richter, der in der unteren Instanz an der Urteilsfindung teilgenommen hat, in der höheren Instanz wiederum als erkennender Richter tätig wird, weil dann die erforderliche Gewähr für die völlige Unbefangenheit bei der Beurteilung der angefochtenen Entscheidung fehlt. Dieser Zweck des Ausschließungsgrundes gebiete es, die Anwendung des § 41 Ziff. 6 ZPO nicht auf die Fälle zu beschränken, in denen der Richter auch formell an der angefochtenen Entscheidung selbst mitgewirkt hat, sondern sie auch auf diejenigen zu erstrecken, in denen sich die sachliche Beurteilung der angefochtenen Entscheidung notwendigerweise ganz oder teilweise auf solche Rechtsfragen beziehen muss, die der Richter in der Vorinstanz schon bei der Findung eines Urteils entschieden hat. Das treffe auch dann zu, wenn er in der Vorinstanz ein Versäumnisurteil gegen den säumigen Beklagten erlassen hat. Die für die Nachprüfung des bestätigenden Urteils erheblichen rechtlichen Gesichtspunkte deckten sich teilweise mit denen, zu denen der Richter bereits in der ersten Instanz Stellung genommen hat, und zwar durch Erlass eines Urteils (BAG, Beschl. v. 07.02.1968 - 5 AR 43/68 Rn. 7). Da der I. Zivilsenat des BGH mit seiner beabsichtigten Entscheidung somit von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs abweichen wollte, hätte nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Streitfrage entscheiden müssen. Eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat ist dabei nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf die zu begründende Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält (§ 11 Abs. 3 RsprEinhG). Auf Anfrage des I. Zivilsenates des BGH (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2025 – I ZB 40/24) hat der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts jedoch geantwortet, dass er an seiner entgegenstehenden Rechtsauffassung zu § 41 Nr. 6 ZPO nicht festhält (BGH, Beschluss vom 27. März 2025 – I ZB 40/24 –, Rn. 7).
D. Auswirkungen für die Praxis
§ 41 ZPO führt die Ausschließungsgründe von der Ausübung des Richteramts abschließend auf. Schon wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), ist die Vorschrift einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich sind (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2012 – II ZR 280/11 –, Rn. 3, juris). Dies schließt auch den in der Praxis relativ häufig vorkommenden Fall aus, dass ein Gericht nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache durch das Rechtsmittelgericht erneut über die Sache zu befinden hat. Wie sich aus § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO ergibt, entscheidet nach Zurückverweisung der Sache ein anderer Spruchkörper nur, wenn das Rechtsmittelgericht eine diesbezügliche besondere Anordnung trifft. Fehlt eine solche, ist bei den Mitgliedern des vorbefassten Spruchkörpers, die an dem aufgehobenen Urteil mitgewirkt haben, kein Fall der unmittelbaren oder entsprechenden Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO gegeben. Denn nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist die Unvoreingenommenheit des Richters grundsätzlich nicht schon dadurch gefährdet, dass er sich schon früher zu demselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 – IX ZB 65/13 –, Rn. 8, mwN.).
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